Martin Schulz und die Revitalisierung der Linken | 15 Zukunft gerecht Talk

Shownotes

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00:00:00: Herzlich willkommen zum Zukunft gerecht Podcast der Friedrich-Ebert-Stiftung. Mein Name ist

00:00:09: Christian Kränelich, ich bin Politikwissenschaftler und ich freue mich sehr, diesen Podcast für

00:00:14: die Friedrich-Ebert-Stiftung moderieren zu dürfen. Und diejenigen unter euch, die diesen

00:00:18: Podcast schon öfters gehört haben, die wissen unser offizieller Titel. Der heißt "Zukunft gerecht".

00:00:23: Wir wollen mit Menschen reden, die sich für Gerechtigkeit engagieren. Wir wollen wissen, was hat

00:00:28: sie angetrieben, was hat sie motiviert, was hat sie vielleicht auch frustriert und was hat sie

00:00:32: dann dazu angetrieben, trotzdem weiterzumachen. Zukunftgerecht, unser offizieller Titel inoffiziellen

00:00:38: nennen wir diesen Podcast aber immer Unterfreunden, weil wir Unterfreunden reden wollen, so wie man

00:00:44: das tut Unterfreunden. Wir wollen offen und ehrlich sein, auch kritisch sein, aber immer

00:00:49: einander zugewandt miteinander reden. Und ich freue mich sehr auf unseren heutigen Gast. Das ist

00:00:55: ein Mensch, der in seinem politischen und in seinem privaten Leben und wirklich eine Menge anhören

00:01:01: und auch tiefen erlebt hat, ein abwechslungsreiches, volles Leben geprägt von Engagement für

00:01:07: Gerechtigkeit und ein Mensch, der in seinem Twitter-Profil schreibt, dass er ein glühender

00:01:11: Sozialdemokrat ist. Herzlich willkommen, Martin Schutz. Hallo, Christian. Martin, schön, dass du

00:01:19: dabei bist. Wir beginnen unsere Gespräche, unsere Podcasts in der Regel mit einer Frage,

00:01:24: einer persönlichen Frage nach dem Beginn des politischen Engagements. Wir fragen, gibt es einen

00:01:30: besonderen Ort, den unsere Gäste mit ihrem politischen Engagement ganz zu Beginn verbinden?

00:01:36: Weil manchen war das der Jugendtreff, bei anderen die Schule, wieder andere haben gesagt,

00:01:39: das war eigentlich der Küchentisch meiner Eltern, wo ich politisiert wurde. Wie ist es bei dir,

00:01:44: Martin? Gibt es einen besonderen Ort, den du verbindest mit den Anfängen deines politischen

00:01:49: Engagements? Ja, ganz eindeutig, das ist die Aula des Gymnasiums, das ich besucht habe in meiner

00:01:57: Heimatstadt in Würseln. Das war ein katholisches Gymnasium. Das gibt es auch noch, das hatte

00:02:03: ich Geistgymnasium und ein Ort, der für mich bis heute zu signifikant hat, ist die Aula, in der

00:02:10: an dem Tag, als im Deutschen Bundestag das Misstrauensvotum von CDU und CSU gegen Willy Brandt

00:02:18: eingebracht worden war, wir als Schülerinnen und Schüler sozusagen als staatsbürgerlichen

00:02:25: Unterricht in die Aula gebracht wurden, weil wir uns dann live in einem damals noch relativ

00:02:30: kleinen Fernseherparat anschauen konnten, wie das ablief. Und ich sage mal, die Patres des

00:02:38: Spiritaner Orgens hatten, glaube ich, alle die gemeinsame Hoffnung, dass an diesem Tag doch

00:02:44: deutlich wurde, dass dieser unsägliche Hans Lambrandt durch den Katholiken aus dem

00:02:51: Badder-Borderland Rainer-Bachts abgelöst werden würde. Und gab zwei, einen Freund von mir,

00:02:58: der auch später mit mir gemeinsam Geschäftsführer und Vorsitzender der Jugendsozialisten war,

00:03:05: und zwar der neben mir saß, wir beide waren die Woten. Und als dann das Ergebnis bekannt

00:03:11: gegeben wurde, dass dieses Misstrauensvotum geschaltet war, haben wir nicht geklatscht,

00:03:17: aber wir waren die Meiner einzigen. Und das ist für mich ein unvergessliches Ereignis aus

00:03:25: diesen zwei Gründen einmal wegen des Ergebnisses im Deutschen Bundestag in Bonn und zum anderen

00:03:32: wegen der Atmosphäre da in der Schule. Das war, glaube ich, für mich definitiv der Moment,

00:03:37: ab dem ich dann richtig politisch auch engagiert war. Ja, das klingt ja nach einer etwas einsamen

00:03:46: Aktion, die dann aber trotzdem wichtig ist, zu signalisieren. Ich schaue hier anders auf die

00:03:51: Dinge als vielleicht die meisten der Anwesenden. Ja, das war auch so. Das war so. Das war auch die Söhne.

00:03:58: Töchter gab es damals noch nicht. Die Söhne der eher konservativen Bevölkerungsgruppe dabei

00:04:06: bei uns im Wahlkreis, die allerdings in diesem Wahlkreis nicht mehrheit war. So gesehen der

00:04:11: Wahlkreis Aachenland, auch heute immer noch fest in der Hand der SPD, dass mein Steinkohlen,

00:04:17: braunkohlen, Stahl und Chemie revier. Und ist das ja auch eigentlich bis heute zu. Und die Sozies

00:04:23: waren da schon in der Mehrheit. Also in der Heimatstadt war eine traditionelle SPD-regierte

00:04:27: Stadt. Aber da war eben dieses katholische Kloster auch ein bisschen der Schutzraum der Schwachs.

00:04:35: Und diese Mischung quasi katholisches Kloster, aber eine sozialdemokratisch geprägte Gegend,

00:04:44: wenn ich es richtig überschaue, hat das ja auch ein bisschen dein Elternhaus geprägt. Du

00:04:48: hast an verschiedenen Stellen gesagt, das war wichtig. Und das waren ganz unterschiedliche

00:04:51: Persönlichkeiten, dein Vater und deine Mutter. Ganz klar. Mein Vater war Salender, stammte aus

00:04:58: einer Bergarbeiterfamilie. In der Zwischenzeit erdwas bekannter werden, ein Gemeinde Elversberg,

00:05:04: der ja jetzt durch Fußball bekannt ist. Der Esver-Elversberg spielt, glaube ich,

00:05:08: jetzt in der dritten Liga. Und das ist auch eine reine Bergarbeiter, eine reine Bergarbeiter

00:05:14: Gegend. Aber mein Vater war halt Sohn eines sozialdemokratischen Bergmanns. Und das ist

00:05:23: eigentlich innerlich aus sein ganzes Leben lang geblieben. Meine Mutter wiederum stammte aus einer

00:05:28: traditionellen Zentrumsfamilie. Also Handwerker, das waren Handwerker, Ingenieure, Architekten.

00:05:37: Mein Großvater war ein Dachdecker mit einem sehr renommierten Betrieb der Vorwiegen für

00:05:43: die katholische Kirche arbeitete und Kirchendächer machten die. Also mein Vater ist dabei während

00:05:51: der Diktatur 38. Mein Vater war bei einem berittenen Musikkorps, der Wehrmacht, weil er reiten konnte

00:05:59: und Trompete spielte. Und die wurden an die Westgrenze hier verlegt zur Unterhaltung der

00:06:07: Westwallsoldaten. Und da wurde mein Vater in dem Haus meiner Großeltern, mütterlich aus

00:06:14: als Eingwachtiert. Ja gut, und es gab keine Parteien. Die Liebe kennt auch keine Ideologie. Und

00:06:20: das Ergebnis war, dass die, ich glaube unter republikanischen Bedingungen, nie geheiratet

00:06:26: hätten. Aber sie haben halt zueinander gefunden. Und als der Krieg Gott sei Dank dann vorbei war,

00:06:31: hat meine Mutter die CDU in meiner Heimatstadt mitgegründet, was mein Vater Schulter zugrunde

00:06:36: und Kopfschüttel zur Kenntnis genommen hat. Aber sie sind halt bei dem gegenseitigen Respekt

00:06:43: bei ihrer politischen Überzeugung geblieben. Ich muss einzeln zufügen. Das nutze ich irgendwann

00:06:49: unseren Podcast. Meine Mutter war eine Frau aus der reinigen CDU der 40er und 50er Jahre. Das war

00:06:56: Karl Arnoldt. Das waren Leute wie Norbert Blümann, denen sich vielleicht manche noch erinnern,

00:07:01: also die sogenannten Herzenssozialisten. Eigentlich waren die linker als manche linke heute.

00:07:07: Das ist ein wichtiger Hinweis, der vielleicht auch ein bisschen bei Hilfe zu verstehen,

00:07:13: wie deine politische Orientierung zustande gekommen ist. Eine Mutter mit Engagement in der

00:07:20: CDU, aber in einem besonderen Flügel der CDU. Ein sozusagen stark sozial orientierten Flügel der

00:07:28: CDU. Und also ich bin ganz geneigt, sozusagen einen Podcast über die Liebe aus diesem Podcast

00:07:35: zu machen und nicht über die Politik, weil das sind ja starke Worte, die Liebe überwindet da

00:07:39: sozusagen die Ideologien. Das heißt ja auch, dass es nicht so eine automatische Prägung gab

00:07:45: in Richtung der Junge wird auch mal sozialdemokrat wie seine Eltern, sondern das war in gewisser

00:07:49: Weise offen. Ich glaube, 74 bist du dann in die SPD eingetreten, aber war in den Charts.

00:07:55: Vicky Lernos hat, wir fahren nach Lodz gesungen. In Deutschland war die Ölkrise noch nicht ganz

00:08:01: vorbei und ich glaube Helmut Schmidt war dann knapp Kanzler, sozusagen, als du eingetreten bist

00:08:06: im Dezember 74. Warum diese Entscheidung für die SPD? Das war für mich völlig klar, dass ich in die

00:08:15: SPD eintreten würde. Dass ich erst im Dezember 74 eingetreten bin. Das ist auch so ein Witz. Ich

00:08:21: habe davor zwei oder drei Tagen erst darüber gesprochen. Ich bin immer zu den Juso-Versammlungen

00:08:26: gegangen und ich war eigentlich irgendwie der Meinung, ich wäre Mitglied der SPD über Beitragszahne

00:08:32: und so, keine Gedanken. Ich bin einfach immer hingegangen und wenn ich nicht Fußball gespielt

00:08:38: habe, das war mein Leben bestand eigentlich, Rückblickend muss ich sagen, bedauerlicherweise,

00:08:43: nur aus zwei Elementen. Das eine war Fußball. Es waren etwa 80, 85 Prozent, 15 Prozent war Jusos,

00:08:51: 0 Prozent Schule und das Ergebnis, das kann ich ja einem leibhaftigen Professor mit dem ich jetzt

00:08:59: rede, sagen, war natürlich, dass ich irgendwann in der Schule am Ende war und die, hier ist in

00:09:07: diesem Bewusstsein, du musst Mitglied in einer Partei sein, da musst du auch beitreten und das

00:09:12: muss auch formalisiert werden. Das war irgendwie untergegangen und dann an meinem Geburtstag am

00:09:18: 20. Dezember, haben wir so ein bisschen gefeiert, und dann sagt der damalige Jusoforsitzende,

00:09:25: der bis heute zu mein bester Ängster und persönlicher Freund ist Achim Großmann, später lange Jahre

00:09:32: Bundeslater und parlamentarischer Staatssekretär. Der sagte, man morgen haben wir auch zwanzig

00:09:38: Versammlungen, da wird abgestimmt, aber du hast überhaupt kein Parteibuch, dann wurde das nachgeholt.

00:09:44: Ich wurde an diesem Abend dann in die Partei aufgenommen, aber ich da schon längst aktiv war,

00:09:49: aber rein formal bin ich an meinem Geburtstag am 20. Dezember 1974 in die SPD eingetreten und wie

00:09:57: gesagt, wie du das richtig beschrieben hast, wie die Brandbahn halb ist ja vorher zurückgetreten,

00:10:02: Helmut Schmidt war Bundeskanzler, es war eine turbulente Zeit, aber eben auch eine Zeit, wo die

00:10:09: SPD politisch und übrigens auch kulturell die Trends in der Gesellschaft setzte. Genau, und das

00:10:17: hat dich angesprochen sozusagen, da war klar, da ist ein Platz. Eindeutig, ganz klar. Ja, das war

00:10:24: aber natürlich auch so, muss das nochmal, ich habe vier ältere Geschwister, ich bin der

00:10:28: jüngste, meine älteren Geschwister sind natürlich jetzt alles heute schon Leute, die, ich bin der

00:10:33: letzte U70, also die anderen sind schon alle ein bisschen älter, sind im Platzzeit alle noch

00:10:39: gesund, leben noch und die waren alle, alle in der SPD, alle. Meine älteren Brüder, meine älteren

00:10:51: Schwester, zwei Stück waren alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, das war eine totale

00:10:56: Logik, dass ich bei der SPD war und ich habe Fußball gespielt in einem Fußballclub, in dem

00:11:02: überwiegend die Leute Sozialdemokraten waren, die Stadt war links, Berger weiter statt, also wäre

00:11:11: schon wunder gewesen, wenn ich da woanders gelandet wäre, ist aber für mich und meine gesamte Prägung

00:11:17: eine Logik gewesen, dass ich bei der Sozialdemokratie lande. Das ist ja kein Zufall, dass dann heute

00:11:26: unter deinem Twitter-Profil noch glühender Sozialdemokrat steht, da könnte ja auch etwas

00:11:30: anderes stehen. Das bin ich auch, Christian, mehr denn je, wenn ich, was ja ein Großprivileg ist,

00:11:39: wenn du so viele Jahre in der Politik bist und auch heute als Vorsitzer Ebert Stiftung,

00:11:43: bekommst du da Zugang zu ganz vielen Informationen, hast ja auch Zeit, die Informationen zu vertiefen,

00:11:50: auch das ist ein Privileg der Berufspolitik, eine Pflicht und auch ein Privileg, wenn ich auf

00:11:56: unsere Zeit schaue, die zunehmende, auch durch diese neuen Kommunikationsformen im öffentlichen

00:12:03: Diskurs entstehende Polarisierung in der Gesellschaft, dieses entweder oder, dass es in

00:12:14: zunehmendem Maße gibt, entweder die eine oder die andere Richtung, keine Grautöne, dieser

00:12:19: Trumpismus, den wir erleben, wenn ich für mich ist, ist gegen mich, wer gegen mich ist, ist ein

00:12:24: Feind, ein Feind muss niedergemacht werden. Das ist eine Zeit, in der es mehr denn je das

00:12:33: sowohl als auch geben muss, die Toleranz über das Trennende hinweg, das Bemühen um Zusammenhalt

00:12:40: in der Gesellschaft, das ist die DNA der Sozialdemokratie, viel belächelt, oft verachtet

00:12:48: und in meinen Augen mehr denn je erforderlich. Das verreißt ja drauf, dass sowas wie ein

00:12:54: Kompromiss wichtig ist. Es geht nicht darum, sich absolut durchzusetzen in einer Gesellschaft

00:13:00: für unterschiedliche Interessen bestehen, sondern man muss schauen, dass es Lösungen gibt, die

00:13:04: für alle funktionieren. Nicht in einem freien Feindschema denken. Eindeutig und deshalb glaube ich,

00:13:09: dass es gut ist, dass die SPD zurzeit das Land regiert. Wir müssen gleich noch ein bisschen

00:13:14: auf die Gegenwart schauen, lass uns noch kurz ein bisschen darauf gucken, wie sich das bei dir

00:13:19: weiterentwickelt hat, biografisch. Du warst dann ja, das hätte man ja auch machen können quasi

00:13:24: nicht bei den Jusos auf Bundesebene aktiv oder so, sondern du hast dich auch bewusst dafür entschieden,

00:13:30: dich lokal zu engagieren. Vor Ort, elf Jahre glaube ich, warst du Bürgermeister in Wieselien,

00:13:36: bevor es dann nach Europa ging. Warum dieser Fokus zunächst auf die Kommunalpolitik?

00:13:41: Ja, ich bin eine interessante Frage, über die ich ehrlich gesagt in dieser Form noch nie nachgedacht

00:13:48: habe, dass ich bei den Jusos auf Bundesebene was hätte machen können. Darüber habe ich in meinem

00:13:53: ganz Leben nur nicht da gedacht. Ich glaube, ich war ja nicht der Typ für gewesen. Warum die

00:13:59: Entscheidung für das Lokale? Ich bin mit beiden Beinen vor Wuchtsel hier in meiner Heimat und

00:14:04: ich bin auch nie hier weggegangen. Ich wohne immer noch hier in dieser Stadt. Auch in meiner Zeit

00:14:10: als internationaler Politiker habe ich immer geschaut, dass ich Zeit nie zu Hause hatte,

00:14:15: wo ich mich auch hier zu Hause engagiert habe. Ich war übrigens, weil das damals noch ein Ehrenamt

00:14:20: war Bürgermeister. Noch damals hat er den gesplitteten Kommunalverfassung. Ehrenamtliche

00:14:25: Bürgermeister, hauptamtliche Verwaltungschefs, Stadtdirektoren hießen nie. Das hat es mir

00:14:31: ermöglicht, vier Jahre lang Bürgermeister unabgeordneter zugleich zu sein, sondern der

00:14:37: spannendsten Perioden meines Lebens, weil ich dann nämlich den Unterschied zwischen lokaler

00:14:42: Politik und Mitgliedschaft in einer Gesetzgebungskörperschaft auf internationaler oder nationaler

00:14:48: Ebene erfahren habe, wie das ist. Aber der entscheidende Punkt für mich, mich lokal zu

00:14:54: engagieren, war, dass wir als Jungsozialisten in einer Stadt, die mit absoluter Mehrheit von der

00:15:01: SPD regiert wurden, richtig was durchsetzen konnten für junge Leute, was durchsetzen konnten für

00:15:06: Kultur, für Sport. Ich konnte meine Ideen zu einem ganz großen Teil mit meinen Genossen und Genossen

00:15:13: hier in praktische Politik umsetzen. Und das hat einen wirklichen Spaß gemacht und da konnte man mit

00:15:20: Händen greifen, was man so auf ideologischem Papier gedruckt hatte, konnte man in die Tat

00:15:27: umsetzen. Das fand ich mit spannender, meine spannende Zeit in meinem Leben. Das glaube ich,

00:15:33: das ist ja sehr konkret, sehr unmittelbar. Man sieht wirklich, was man bewegen kann vor allem.

00:15:38: Aber jetzt musst du uns erklären, warum dann danach Europa? Weil das ist ja sehr viel abstraktor,

00:15:46: oft weiter weg. Wie kam es dazu? War das eine bewusste Entscheidung oder war das einfach so

00:15:51: eine Entwicklung, die sich ergeben hat? Nee, nee, nee, das war eine sehr bewusste

00:15:55: Entscheidung. Ich wollte auch in das europäische Parlament. Das wurde 1979 zum ersten Mal direkt

00:16:03: gewählt. Ich habe an diesem ersten Europawahlkampf aktiv teilgenommen. Da war ich schon ein Lokalpolitiker

00:16:12: hier. Ich habe dann gesehen, was das bedeutet. Denn wenn du, du kennst ja meine Heimat hier

00:16:20: ein bisschen, glaube ich, wenn du hier im Kreis Aachen in meiner Heimat statt Würseln ist,

00:16:25: an seinem westlichsten Punkt knapp 600 Meter von den Niederlanden weg. Da zwischendurch

00:16:30: dich ein schmaler Streifen einer Nachbarstadt, ein Stück Wald und dann bist du schon in Holland.

00:16:35: Wenn du hier spazieren gehst, weißt du ja nicht, ob du noch in Deutschland bist oder die Niederlande

00:16:39: schon Richtung Belgien verlassen hast. Wir sind in dem Dreieck-Maastricht Lüttich-Aachen

00:16:45: vielleicht ein Mikrokosmos Europas. Drei Länder, drei Sprachen, Flämig Französisch, Deutsch,

00:16:53: drei unterschiedliche Kultur, kulturelle Tradition. Wenn du in der Maastricht fährst, bist du in einer

00:17:01: traditionellen niederländischen Stadt. Lüttich hat die gesamte Kultur des francophonen Raums sogar

00:17:08: sehr bedeutende, historisch auch bedeutende Stadt für diesen Raum. Und Aachen ist die einzige

00:17:15: deutsche Stadt, die einen eigenständigen französischen Namen hat, Exla Chapelle. Und das heißt, wer hier

00:17:23: lebt und hier Politik macht, ist so ein Art Geburts-Europäer. Du wirst hier als Europäerin,

00:17:32: als Europäer geboren. Und für mich war das Identitätsstiften für meine Heimat. Dazu der

00:17:38: Schülerausdarsch in Frankreich, indem ich in der Jugend war. Städtepartnerschaft mit einer

00:17:43: britonischen Stadt, die wir hatten. Also das kam für mich einfach nur in Betracht. Ich wollte

00:17:48: ins Europaparlament. Ja, das nachvollziehbar eine Aachen, Karl der Große, das ist ja ganz spannend.

00:17:54: Der wird ja gelegentlich von den Deutschen als der größte Deutsche beschrieben. Und wenn man

00:17:58: ähnliche Umfragen in Frankreich macht, nennen die den auch, als einen der bedeutendsten Franzosen.

00:18:04: Das zeigt schon die Nähe. Eindeutig. Passiert so. Diese europäische Politik manchmal ist es ja

00:18:12: schwierig, auch weil sie quasi in den nationalen Medien gar nicht so stark stattgefunden haben.

00:18:18: Hat das ändert sich ein bisschen, aber nationale Politik spielt da immer noch eine wichtige Rolle.

00:18:23: Aber du hast es auch geschafft, über europäische Politik in den nationalen Medien, in der nationalen

00:18:31: Öffentlichkeit präsent zu sein und ein Ereignis, das ich damit besonders verbinde, ist diese

00:18:36: Auseinandersetzung mit Silvio Berlusconi. Ich glaube 2003 war es ja ein heftiger Schlagabtausch

00:18:42: im Parlament. Und manche ketten vielleicht, das kann man sich bei YouTube anschauen, diese Szenen,

00:18:47: wo er sagt, also hier Martin Schulz, wir bereiten hier gerade ein Film in Italien vor und sie

00:18:52: werden für die Rolle eines Kapos im KZ geeignet. Drastische Worte. Was ging dieser Situation voraus?

00:18:59: Worüber habt ihr gestritten? Was ist da passiert? Berlusconi war damals ja schon sehr

00:19:07: verwickelt in jede Menge Ermittlungen verschiedener Staatsanwaltschaften in Italien. Auch in Spanien

00:19:15: wurde gegen ihn wegen schwerer Steuer, des Verdacht der Steuerhinterziehung und nicht in einem

00:19:21: kleinen, sondern gegen so 17 Millionen Euro in einem richtig großen Fall ermittelt. Und ich war in

00:19:28: meiner Funktion, ich war als stellvertretender Fraktionsvorsitzer zuständig für die Bereiche

00:19:31: Recht und inneres auch Immunität, Immunitätsausschuss, das viel in meinem Zuständigkeitsbereich kannte,

00:19:37: also diese Dinge, die Berlusconi betrafen, in und auswendig. Der war auch vorher schon mal

00:19:42: Europaabgeordneter gewesen und ich hatte mir vorgenommen, weil er amtierender Ratspräsident

00:19:50: war, ihn damit zu konfrontieren. Das habe ich dann auch gemacht. Ich habe ihn gefragt,

00:19:53: was machen Sie denn zur Einführung einer europäischen Staatsanwaltschaft? Was machen Sie

00:19:57: denn zur Einführung eines europäischen Haftbefehlens? Können Sie uns mal sagen, was die italienische

00:20:01: Präsidentschaft zur Beschleunigung des Dokumenten austauscht zwischen Staatsanwaltschaften,

00:20:06: Grenze überschreiten tun will? Hätte eigentlich Antworten müssen, nichts, denn ich schade ja nicht

00:20:11: meinen eigenen Interessen. Das konnte er aber nicht, also musste er ausweichen, dann hat er angefangen

00:20:17: mich zu beschimpfen. Ich will dazu vielleicht Nummer eins sagen, man muss ihm auch folgendes

00:20:22: überlegen, dass er jetzt 19 Jahre her, fast 20 Jahre her und sein wir ehrlich, Berlusconi wurde,

00:20:30: das war ein früherer Trump, Silvio Berlusconi, der mit Medienmacht und ökonomischer Macht die

00:20:35: politische Landschaft zu seinen privaten Interessen gestalten wollte. Das ist das Modell Donald Trump

00:20:42: ganz früh und ich bin da auch sehr früh darauf aufmerksam geworden, habe da versucht auch darauf

00:20:47: aufmerksam zu machen. Das hat ja eine riesen Welle der Empörung in Europa damals ausgelöst und

00:20:53: auf Berlusconi wurde man plötzlich international aufmerksam, nicht als den immer strahlenden

00:21:00: italienischen Premierminister, sondern als das, was er ist, ein eiskalter Techniker der Macht,

00:21:06: der jeden Gegner niedermacht. 20 Jahre her heute läuft Manfred Weber durch Europa der Vorsitzende

00:21:14: der EFOP-Fraktion im Europaparlament und erzählt uns, seid doch froh, dass der Berlusconi in der

00:21:20: Regierung in Italien sitzt. Der ist doch der Garant dafür, dass Italien bei der EU bleibt und nicht

00:21:28: endgültig nach extrem rechts abrutscht, abdriftet. Kann man sich mal überlegen, was in den letzten

00:21:36: 20 Jahren für ein Rechtsrück in Europa stattgefunden hat, dass Leute wie Silvio Berlusconi als

00:21:41: Garantem für Demokratie und europäischen Geistgeld, das müsste eigentlich bei jedem die Alarmglocken

00:21:47: läuten lassen. Ja, das ist ein drastischer Indikator für diese Verschiebung, die da stattgefunden

00:21:54: hat. Das macht das sehr, sehr deutlich. Ich finde das sehr, sehr anschaulich. Ich will dich als Mensch,

00:21:59: der ja das politische Geschäft, auch die Techniken, die die Mechanismen, die da funktionieren, sehr gut

00:22:06: kennt, fragen, wie kann das eigentlich sein? Es gibt da diese Berlusconis und diese Trumps,

00:22:11: die ja, also Trump exemplarisch Millionäre sind, zugleich Präsidenten der USA waren und

00:22:19: denen es trotzdem gelingt, mit einer Politik, die gegen die einfachen Menschen gerichtet ist,

00:22:25: bei diesen einfachen Menschen Unterstützung zu gewinnen. Also die Details des Establishment

00:22:31: sind, die millionäre politisch Einflussreich, den gelingt es zu sagen, wir stehen gegen

00:22:36: das Establishment. Wie kann das eigentlich sein? Warum funktioniert es? Das ist ein Bündnis aus

00:22:41: privaten Interessen medialer Macht und Verachtung für die Demokratie. Denn wenn du deine eigenen

00:22:52: privaten Interessen, deine Milliardärsinteressen, das sind ja Milliardäre, kombinierst mit der

00:22:58: Fähigkeit, dir deine eigenen Medien zu halten, die nur das erzählen, was du ihnen sagst, was du

00:23:06: sozusagen in Auftrag gibst und dann von dir selbst durch permanente Wiederholung und

00:23:13: durch Bespielen der Blasen, die heute in den neuen Netzwerken entstanden sind, kannst du,

00:23:21: das ist fast schon wie Orwell 1984, eine neue Realität schaffen. Das hat Trump geschafft.

00:23:30: Also vielleicht erinnere ich nochmal an die Fotos bei seiner Amts einführung,

00:23:35: da waren weniger als bei jedem anderen Präsidenten bei der Amtsanführung, man hat viel weniger

00:23:40: Menschen, er behauptete aber es sei die größte Menschenansammlung aller Zeiten gewesen,

00:23:44: das konnten die Luftaufnahmen das Gegenteil beweisen und dann hat die prendammene Gepresse

00:23:51: Sprecherin von Trump den Begriff der alternativen Fakten geprägt. Es gibt alternative Fakten.

00:23:59: Später wurde daraus Fake News, das war auch eine Fake News, aber sie haben es geschafft,

00:24:04: das umzudrehen. Das hatte schon Bernosconi in Italien geschafft, seine Wahrheit zu erzählen.

00:24:09: Und das wird im Gegensatz zu dem, was wir beide jetzt gerade machen, uns viel Zeit zu nehmen,

00:24:16: um differenziert miteinander zu reden, verkürzt auf einfache Botschaften, einfache Menschen,

00:24:21: die den ganzen Tag um ihre soziale Existenz ringen müssen können, nicht das Föhe Thorna

00:24:27: Eva Zelt lesen, die brauchen einfache Botschaften, die liefern die und damit liefern sie auch eine

00:24:33: Erklärung der Welt, so wie die Leute sie dann auch wahrnehmen und verstehen. Und dieser

00:24:39: Mechanismus, wenn die Linke es nicht schafft, diesen Mechanismus zu durchbrechen, dann wird

00:24:46: das ganz gefährlich auf Dauer. Die Stärke der Rechten in dieser Frage, die Stärke der

00:24:51: Trumps und Bernosconis hat auch etwas mit der Schwäche der Linken bei der Kommunikation

00:24:57: ihrer Themen zu tun. Das sind es da noch kurz vorwahlen, woran liegt das? Warum gelingt es der

00:25:02: Linken nicht ähnlich zu agieren? Weil wir viel zu verkofft sind, weil wir Diskussionen führen

00:25:12: in vielen Bereichen der europäischen Linken, die mit dem achten Lebensalter ganz vieler unserer

00:25:21: Wählerinnen und Wähler oder besser gesagt unserer früheren Wählerinnen und Wähler nicht übereinstimmen.

00:25:27: Wenn ich die Debatten in berliner politischen Zirkeln sehe, insbesondere auch die Diskussionen

00:25:34: in journalistischen Kreisen in Berlin, mich das mitkriegen, teilweise auch in Brüssel,

00:25:41: dann muss ich sagen, hat das mit den Themen, die die Menschen in meinem Wahlkreis hier diskutieren,

00:25:46: nichts zu tun. Das ist, wer seine Gasrechnung nicht bezahlen kann und fürchten muss aus

00:25:54: seiner Wohnung herauszumüssen, weil er auch die Miete nicht mehr bezahlen kann, weil die Inflation

00:25:59: sein Geld aufrisst. Er hat keine Zeit, Debatten kulturphilosophischer Art zu führen. Ich drücke

00:26:08: mich da ganz vornehm aus. Letztere müssen auch geführt werden. Wir brauchen diverse und solidarische

00:26:19: und tolerante Gesellschaft. Das ist die eine Seite, aber wir dürfen uns in der Debatte gerade die

00:26:25: Linken parteien nicht verkürzen, nur auf gesellschaftspolitische Debatten. Wir brauchen

00:26:32: auch das Bekenntnis zum sozialpolitischen Schutz für diejenigen, die ohne uns verloren sind.

00:26:39: Und das sind aber dann auch häufig Leute, die über die Themen, die wir in der Linken oft

00:26:48: diskutieren, die keine Zeit haben und zum Teil auch keine Lust, diese Themen mit zu diskutieren.

00:26:54: Und wenn die das artikulieren, dann genau von einem Teil der Linken verachtet werden, weil sie nicht

00:27:01: mitkommen und ihre Themen nicht so wichtig sein. Das ist eine gefährliche Entwicklung,

00:27:07: unter der zum Beispiel die Demokratische Partei der USA zurzeit extrem leidet.

00:27:11: Einer deiner Vorgänger im Amt des Friedrich-Ebert-Stiftungsvorsitzenden Kurt Beck hat das

00:27:18: immer so formuliert, der hat gesagt, wir müssen nah bei den Menschen sein, wenn er in Rheinland-Pfalz

00:27:22: unterwegs war, nah bei Deloi. Das ist vielleicht eine ganz kurze praktische Zusammenfassung,

00:27:29: nah an den Sorgen der Menschen und an ihrem Alltag. Lass mich noch eine Frage stellen zu deiner

00:27:35: Biografie. Du bist jetzt Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung seit Dezember 2020. Was ist deine

00:27:46: Vorstellung für diese Organisation? Was hast du dir vorgenommen, als du dieses Amt übernommen

00:27:52: hast für diese ja etablierte, große und auch international sehr vertreten Organisation?

00:28:00: Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist eine faszinierende Einrichtung. Sie ist eine wirklich bedeutende

00:28:07: politische Stiftung, was ich mir vorgenommen habe. Das kann ich dir in einem Satz sagen. Die großen

00:28:13: Potenziale der Friedrich-Ebert-Stiftung, sowohl in der politischen Bildung in unserem Land als auch

00:28:21: in der Studienförderung. Wir fördern ja ganz, ganz viele junge Männer und Frauen, die sich sonst ohne

00:28:27: unsere Förderung ein Studium, einen akademischen Weg nicht leisten könnten. Und zum Dritten unsere

00:28:36: internationale Arbeit in der weltweiten Stärkung von Demokratie, Zivilgesellschaft, gewerkschaftlicher

00:28:43: Bewegung, ökologischer Nachhaltigkeit in 110 Auslandsvertretungen und 111, glaube ich, drei sind

00:28:49: zurzeit geschlossen, Kabul, Moskau und Managua. Das finanzielle Abzusichern, das personelle

00:28:58: Abzusichern und das Instrumentarium zu nutzen, um mit zu einer Revitalisierung der Debatte um

00:29:07: eine Internationalisierung linker, progressiver Bewegungen und ihre internationale Kooperation,

00:29:15: die stagniert, die nicht in dem Maße läuft, wie sie laufen müsste. Das vor allem

00:29:19: voranzutragen mit den Mitteln, die wir haben, soziale Demokratie, Respekt,

00:29:25: Toleranz und würde über das Trennende hinweg nicht nur als Nationale, sondern

00:29:30: als europäisches und weltweites Projekt voranzutragen. Das ist mein Ziel.

00:29:35: Du sagst, das stockt. Das ist ja eine ganz beeindruckende Agenda, linke, progressive

00:29:40: Politik sozusagen miteinander ins Gespräch zu bringen, gemeinsam voran zu

00:29:44: bringen. Und das ist ja eigentlich erstaunlich, dass es stockt, weil das

00:29:47: ehemals von der DNA der Sozialdemokratie gesprochen. Das gehört ja auch zur

00:29:51: DNA der Sozialdemokratie. Sehr früh gab es da diese Vorstellung von

00:29:56: Internationalismus, weil man die Vermutung oder die Analyse hatte, wir haben

00:30:01: eigentlich die gleichen Probleme in unseren Ländern. Wir werden hier alle

00:30:04: ausgebeutet, wir werden möglicherweise sogar gegeneinander in die Krieg gehetzt.

00:30:08: Dagegen müssen wir uns gemeinsam über Ländergrenzen hinweg verbünden.

00:30:13: 200 Jahre später schallte es immer noch nicht der Fall zu sein. Warum funktioniert

00:30:17: das nicht? Warum stockt das sogar? Das sind ja Wellenbewegungen. Mal funktioniert

00:30:22: die internationale Solidarität, mal funktioniert es nicht. Wir haben ja, wenn

00:30:28: du dich nochmal an den Anfang unseres Gesprächs, wenn ich da nochmal drauf

00:30:31: zurückkommen darf, in den 70er Jahren und auch in den 80ern entstand ein

00:30:36: Netzwerk von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Europa. Wie ist das

00:30:40: vor und nach ja noch nie gegeben? Das war ja Brand, der das macht. Da hattest du

00:30:44: Philippe González, Mario Soarich, Andreas Papandreou, Bruno Kreisky, Olaf Palme.

00:30:49: Das ging ja von Nord nach Süd. In ganz Europa hattest du führende Sozialdemokraten

00:30:58: und die haben ganz eng zusammengearbeitet und diesen europäischen Geist

00:31:03: geschaffen, auf dem später die europäische Sozialdemokratisch Partei

00:31:08: gegründet wurde. Das ging dann wieder weg. Wir haben dann aber Anfang der

00:31:15: Nullerjahre dieses Jahrtausends nochmal so eine Bewegung progressiver Politik

00:31:20: gehabt. Das war damals Tony Blair, das war Gerhard Schröder, das war Massimo

00:31:24: D'Alema in Italien, das ist Bill Clinton, Vincente Forks in Mexiko. Das

00:31:30: nahm plötzlich einen weltweiten Charakter an und es ist dann auch wieder

00:31:37: verschwunden. Das heißt diese Wellenbewegung gibt es immer wieder, aber was

00:31:41: wir brauchen ist das Bewusstsein, dass immer in den Zeiten, wenn die

00:31:45: internationalen progressiven Kräfte nicht kooperieren, der Nationalismus und

00:31:52: die menschenverachtenden Systeme mehr Spielräume haben.

00:31:57: Und das sehen wir auch. Die Spaltung der demokratischen Partei der USA hat Trump

00:32:03: begünstigt. Das muss man einfach sehen und nimm dir mal Italien als ein

00:32:09: praktisches Beispiel. Die Linken machte einen. In Italien bei der Wahl vor vier

00:32:14: Wochen 50 Prozent der Stimmen bekommen. Die Rechten nur 45 Prozent. Die Rechten

00:32:19: regieren aber, weil die Linken keine Wahlbündnisse reingehen und in Italien

00:32:23: der relativ stärkste, die meisten Stimmen in meisten Sitz im Parlament bekommt.

00:32:28: Eine Katastrophe ist das und deshalb Spaltung auf der linken Mangel an

00:32:33: internationaler und nationaler Kooperation ist fatal.

00:32:38: Ja, das zeichnet sozusagen mehr als die Agenda für die Friedrich-Ebert-Stiftung

00:32:42: vorne, sondern es ist ein internationales linkes Projekt und wenn ich dich richtig

00:32:46: verstehe, kann die Ebert-Stiftung da sozusagen ein Beitrag leisten.

00:32:51: Ja klar, wir sind überall präsent und man muss ja auch mal sagen, dass die

00:32:56: Ebert-Stiftung, das ist ja nicht mein Verdienst, sondern das ist das Verdienst

00:32:59: meiner Vorgängerinnen und Vorgänger und vor allen Dingen der Leute, die in der

00:33:03: Ebert-Stiftung arbeiten, unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch unserer

00:33:07: Stipendiatinnen und Stipendiaten, die wenn sie von uns weggehen, uns ja auch zu

00:33:13: ganz großen Teilen, die treu erhalten. Die Ebert-Stiftung hat einen wirklich

00:33:18: weltweit hervorragenden Ruf in der Verteidigung von Demokratie und im

00:33:24: Schutz von progressiven Kräften in autoritären Regimen und im Bau von

00:33:30: Brücken zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Tendenzen in den

00:33:34: demokratischen Länder. Wir haben eine große Tradition im Schützen der

00:33:40: progressiven Kräfte und Unterstützen der progressiven Kräfte und das ist so ein

00:33:44: bisschen wirklich in der in Fleisch und Blut übergegangen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.

00:33:49: Das sollten wir nutzen in dieser Zeit.

00:33:52: Ein Hinweis, wenn du es mir gestattest, diese Studienförderung, die du

00:33:57: angesprochen hast neben der internationalen Arbeit, der Bildungsarbeit im

00:34:01: Inland, eine wichtige Säule der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ich will auch diesen

00:34:06: Kanal nutzen, um alle zu ermutigen, sich zu bewerben um ein Stipendium. Ich führe

00:34:10: regelmäßig Auswahlgespräche und erlebe da ganz oft, dass Menschen, die es

00:34:15: wirklich verdient haben, ein Stipendium zu kriegen, ganz schüchtern sind und

00:34:19: fragen, ob das denn wirklich richtig ist, dass ich mich hier bewerbe. Wir werden das

00:34:23: in den Shownotes verlinken, wo man sich bewerben kann bei der

00:34:26: Friedrich-Ebert-Stiftung. Keine Schüchternheit, bitte machen.

00:34:30: Das ist gut. Das kann ich nur unterstützen, Grüßtier.

00:34:33: Vielen Dank. Martin, ein fester Bestandteil unseres Podcasts ist ein

00:34:37: kurzes Dafür-Dar-Gegenspiel. Wir haben 20 Begriffe, 20 Themen und wir würden dich

00:34:43: kurz bitten zu sagen, bist du dafür oder bist du eher dagegen? Den Nachhinein haben

00:34:49: wir da nochmal Zeit darauf, etwas einzugehen und wir starten mit dem

00:34:55: bedingungslosen Grundeinkommen. Dafür oder dagegen? Dagegen.

00:35:00: Eine Übergewinnsteuer für Energieunternehmen. Dreimal dafür.

00:35:06: Die Lieferung weiterer oder mehr schwerer Waffen an die Ukraine. Grundsätzlich

00:35:14: dafür, aber mit Bedingungen. Ja, da müssen wir noch mal darüber reden.

00:35:19: Amazon als Buchhändler. Dagegen. Klar ist dagegen.

00:35:25: Aachner-Printen. Dafür. Gut, selber ein 3-Gänge-Menü kochen.

00:35:32: Um Gottes. Dagegen. Also wenn ich sage, ich koche, dann frag die ganze Familie,

00:35:39: wo ist das nächste Restaurant? Da stehe er. Also es ist nicht nur in deinem

00:35:43: Interesse, wenn du nicht kochst zu Hause. So ist das ja.

00:35:47: Legalisierung von Cannabis. Dafür. Mehrheitsentscheidung auf der europäischen

00:35:54: Ebene in allen Politikbereichen. Dafür. Elternunabhängiges BAföG.

00:36:00: Dafür. Autofreie Innenstädter.

00:36:05: Dafür. Dafür. Alle Wahlen für Menschen ab 16 freigeben.

00:36:12: Grundsätzlich dafür. Eine Spurnachtenklichkeit, aber grundsätzlich dafür.

00:36:20: Ja, alle Wahlen. Na ja, da kann man nachher noch mal darüber reden.

00:36:26: Gut, komm mir darauf zurück auf die Wahlen. Auf 16. E-Books.

00:36:32: Ein E-Book-Reeder. Nein.

00:36:35: Eigentlich, eigentlich dagegen, aber lässt sich ja nicht vermahlen.

00:36:40: Besser E-Books lesen als gar nicht lesen.

00:36:44: Jetzt nochmal eine schwierige Frage. Pizza mit Sauce Hollandaise.

00:36:49: Dagegen. Dagegen. Klar ist dagegen.

00:36:52: Eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine. Dafür. Dafür. Eine Vermögenssteuer.

00:37:01: Dafür. Online Wahlen. Dagegen.

00:37:07: Eine Viertagewoche. Dafür.

00:37:12: Und letzte Frage Urlaub am Strand. Ja klar, dafür.

00:37:17: Sehr klar. Wir hatten auch schon Menschen hier, die leidenschaftlich dagegen plädiert haben und lieber Wander gehen wollten in den Bergen.

00:37:22: Jeden sein. Vorgrünen.

00:37:26: Wir haben mit ein paar Fragen die die aktuelle Situation in der Ukraine gestreift.

00:37:33: Du hast zum Beispiel gesagt, also diese Lieferung von Steuernwaffen ja unter Bedingungen.

00:37:39: Lass uns ein bisschen vielleicht auch das rekapitulieren. Es gibt ja in Deutschland und das ist interessant,

00:37:44: weil es das in anderen Ländern so weniger gibt. Eine ganz heftige Debatte darum.

00:37:48: Und zumindest in der veröffentlichten Meinung die starke permanente Forderung.

00:37:52: Wir brauchen mehr von diesen schweren Waffen. Man hat so ein bisschen den Eindruck, da ist noch gar nicht so viel passiert.

00:37:58: Wie ist da deine Einschätzung? Was ist bisher geliefert worden?

00:38:02: Welche Unterstützung gab es? Was hat die bewirkt?

00:38:05: Ich beginne mit der Anwalt mit dem, was du in deiner Frage formuliert hast.

00:38:10: Das ist eine wirklich deutsche Debatte. In keiner anderen europäischen Hauptstadt gibt es eine solche Debatte.

00:38:16: Und das finde ich bestürzend.

00:38:19: Weil man ja sieht, dass es ganz bestimmte Kräfte in unserem Lande gibt.

00:38:23: Auch in der Regierung. Grüne und FDP.

00:38:27: Oder nicht als Parteien, aber Politikerinnen und Politiker von Grün und FDP,

00:38:32: die in einer Ahnweise einen Druck aufwauen und aus irgendeinem, den es in anderen Hauptstädten einfach nicht gibt.

00:38:38: Das muss man so mal feststellen. Und es ist auch sehr überraschend, gerade bei der Partei, die Grünen.

00:38:43: Es ist auffällig, dass das Leute, die sich früher radikal auf einer anderen Ebene positioniert haben,

00:38:50: plötzlich diese ideologisch aufgeladene Debatte führen.

00:38:58: Die Bedingung für Waffenlieferungen ist im engsten Schulterschluss mit unseren Verbündenden.

00:39:05: Daran hält sich der Bundeskanzler, wenn du mich also fragst, bist du für die Lieferung von schweren Waffen,

00:39:10: ist meine Antwort unter Bedingungen ja. Die Grundbedingung ist,

00:39:14: im Verbund mit den Verbündeten, im engster Abstimmung.

00:39:19: Und das ist genau das, was die Bundesregierung macht.

00:39:22: Übrigens vor der Zustimmung der Außenministerin, das Vize Kanzler, der Grünen und der FDP.

00:39:30: Und dann ist es umso erstaunlicher, dass Ausschussvorsitzende der gleichen Parteien den Chef dieser Regierung permanent attackieren.

00:39:40: Zeigt eigentlich, wie doppelbödig da manche Vorgehensweise ist.

00:39:46: Ja, das sind auch sozusagen taktische Fragen, Stilfragen, die vielleicht in einer so wichtigen, so entscheidenden Frage kein Raum haben sollten.

00:39:57: Es ist schwer in die Zukunft zu schauen, Prognosen sind schwierig, es ist so ein Bon-Mont-Unterpolitik-Wissenschaftler,

00:40:02: wenn sie gefragt werden, wie das weitergeht. Aber wie ist deine Einschätzung im Bezug auf den weiteren Verlauf dieses Konflikts?

00:40:12: Es gibt ja manchmal die Hoffnung da im Raum, wir können eine diplomatische Lösung finden.

00:40:18: Du bist jemand, der das diplomatische Paket gut kennt.

00:40:22: Wir haben es mit Akteuren zu tun und auch mit Erfahrungen zu tun, die gezeigt haben, diplomatische Lösungen sind schwierig.

00:40:28: Man hat das 2014 versucht. Nach der Besetzung der Krim gab es deminske Abkommen, also ein ganz engagiertes Maß an Diplomatie, wo man am Ende sagen muss, das war nicht erfolgreich.

00:40:40: Wie glaubst du, stehen die Chancen mittelfristig für eine diplomatische Lösung des Konflikts?

00:40:47: Die Antwort auf deine Frage ergibt sich aus der Erfahrung.

00:40:51: Ich habe noch keinen Krieg, jedenfalls meiner Erinnerung nach, keinen Krieg in den letzten Jahrhunderten gesehen, der am Ende nicht durch einen Friedensvertrag oder einen Waffenstillstandsvertrag beendet wurde, der von Diplomaten ausgehandelt wurde.

00:41:06: Man kann sich damit abfinden und sagen, wir wollen jetzt einen militärischen Sieg der einen oder anderen Seite.

00:41:15: Es muss bis zur letzten Patrone gekämpft werden, dann ist Schluss, dann hat einer gewonnen, einer verloren.

00:41:21: Oder man sagt, jeder Erfahrung lehrt, dass es am Ende irgendeinen Diplomatschen auswegeben muss.

00:41:28: Wenn du mich jetzt nach der realen Lage fragst, gibt es drei Indikatoren oder gibt es drei Parameter, die man einfach im Auge haben muss.

00:41:38: Man kann nicht glaubwürdig als Politikerin oder als Politiker hingehen und sagen, was Russland gemacht hat, ist ein schwerwiegender Bruch der territorialen Integrität des Nachbarlandes, der Ukraine, eines souveränen Staates.

00:41:52: Und dann anschließend der Ukraine das Recht bestreiten, seine territoriale Integrität wieder herzustellen.

00:41:59: Insofern habe ich volles Verständnis für die Leute in Kiev, die sagen, wir treiben dir aus unserem Land raus.

00:42:06: Das ist grundsätzlich so, der Aggressor ist im Unruh und im Recht ist das Land, das überfallen wurde.

00:42:13: Deshalb verstehe ich das. Der zweite Punkt ist, man muss die Realitäten zur Kenntnis nehmen.

00:42:20: Mein Eindruck ist zurzeit, das wird ein Krieg sein, den die einen nicht gewinnen werden und die anderen nicht verlieren werden.

00:42:28: Und spätestens an dem Punkt, wenn sich so ein Konflikt festfrisst, kostet das enorme Wendenschen nehmen.

00:42:39: Und dann wird automatisch der dritte Punkt wieder herangezogen werden müssen, nämlich auszuloten Welchemöglichkeiten über die militärische Konfrontation hinausgehend, gibt es denn unter Einbeziehung der beiden erst genannten Punkte, die einen haben, ein absolutes Recht.

00:42:57: Ihre territoriale Integrität wieder herzustellen, der zweite Punkt. Es könnte aber sein, dass es zu einem frozen Konflikt kommt.

00:43:04: Was ist dann drittens der diplomatische Ausweg? Und genauso finde ich, muss man vorgehen, dass man inhaltet, aber dass man weder militärische noch diplomatische Maßstaben ausschließen kann.

00:43:16: Braucht sozusagen das ganze Repertoire an Maßnahmen.

00:43:20: Absolut.

00:43:21: Wir haben in dieser Reihe, in dieser Podcastreihe mit dem damaligen Büroleiter aus Kiew und mit dem damaligen Büroleiter aus Moskau im März diesen Jahres gesprochen.

00:43:30: Ich glaube, du warst im letzten Jahr in Moskau zuletzt, Ende letzten Jahres 21 in Moskau.

00:43:36: Und es waren beiderseits, wie ich finde, ganz deprimierende Bilder.

00:43:41: Ich habe mit meiner Frau danach gesprochen und gesagt, ich weiß nicht, was mich mehr deprimiert hat.

00:43:47: Diese Eindrücke aus Kiew natürlich, wo Menschen sterben, wo es tragische Schicksale gibt, wo es Verwüstung und Trümmer und Leid ohne Ende gibt.

00:43:56: Und andererseits die Berichte des Kollegen aus Moskau. Damals gab es noch das Moskauer Büro, aber es war klar, wahrscheinlich gibt es das nicht mehr lange.

00:44:03: Und wie viele andere zivilgesellschaftliche Strukturen wird auch dieses Büro geschlossen werden.

00:44:08: Also jede Form von, nicht nur von Opposition, sondern auch von Dialog, von freiem Dialog, stirbt in Russland.

00:44:17: Eine ganz schwierige Mengelage. Wie glaubst du, was macht das langfristig, was macht das mit dieser Gesellschaft?

00:44:23: Wie kann es gelingen und kann die E-Wert-Stiftung da auch einen Beitrag zu leisten, das wieder aufzubauen?

00:44:29: Das ist ein ganz schwieriger, da komme ich auf das Politologen-Mot zurück. Prognosen sind schwierig.

00:44:41: Auch hier will ich nochmal eine Beantwortung nach einer Frage auf die Vergangenheit machen.

00:44:47: Ich lese zur Zeit einen Buch eines Historikers. Ich kann es dir mal zeigen, dass hier liegen.

00:44:58: Hier ist die Schwarte, so dick ist die, John Leonhardt, der überforderte Frieden.

00:45:06: Das ist ein Buch über Versailles und seine Folgen.

00:45:10: Nach dem ersten Weltkrieg gab es einen tiefsitzenden Wunsch der Alliierten, nicht nur Deutschland, in seine Schrankenzuweise,

00:45:17: sondern vor allen Dingen im Osten Europas, ein territorialen Cordon sanitaire gegen die Rote Revolution zu legen.

00:45:26: Man musste mit Russland, mit der entstehenden Sowjetunion klarkommen.

00:45:32: Yalta, Potsdam haben ein Ziel gehabt, 43, 45.

00:45:39: Wie hegt man Stalin und die expandierende Sowjetunion ein?

00:45:44: Auch Thera, diese drei großen Treffen der westalliierten Churchill, Roosevelt, später dann die Goldermae.

00:45:54: Wie hegt man Stalin ein?

00:45:58: Wir sind nach 1990, nach dem Fall des eisernen Vorhangs und dem Zusammenbruch der Sowjetunion,

00:46:04: Anfang der 90er Jahre, nie klarkommen mit der Entwicklung Russlands.

00:46:12: Das schrankte zwischen Foucault-Jama-Ender der Geschichte, bis Obama Russland ist doch nur noch eine Mittelmacht.

00:46:19: Die Regionallmacht hat umbeimerlich das.

00:46:22: Du kannst erst drehen und wenden, wie du willst, wir werden mit Russland leben.

00:46:26: Mit diesem Russland kann man so gut wie keine Kooperation betreiben.

00:46:31: Putin hat die Brücken abgebrochen.

00:46:34: Deshalb unterstütze ich auch den Lachsklingmal, der diese Formulierung gesagt hat,

00:46:40: zurzeit ist Sicherheit mit Russland gar nicht möglich, zurzeit entwickeln wir Sicherheit gegen Russland.

00:46:47: Das heißt aber nicht, dass dieses Land verschwinden wird und deshalb rate ich dringend dazu,

00:46:52: sich Gedanken darüber zu machen über den Tag danach, denn wir werden mit Russland umgehen müssen.

00:46:59: Und vielleicht passt da ja auch das Bild, das du eben in einem anderen Zusammenhang gebraucht hast,

00:47:03: nämlich das der Wellenbewegung.

00:47:05: Es gibt unterschiedliche Momente, in denen unterschiedliches angemessen ist.

00:47:09: Es gab ja damals, du hast vorhin über Billy Brandt gesprochen, den Wärm, der neuen Ostpolitik verbinden.

00:47:15: Es gab eine Zeit der Konfrontation, wo die möglicherweise auch angemessen und notwendig war,

00:47:20: und eine andere Zeit, wo es Räume gab, um aufeinander zuzugehen.

00:47:25: Das wird auch hoffentlich irgendwann wieder der Fall sein.

00:47:28: Es ist schwer vorstellbar, dass das mit einem Präsidenten der Russischen Federation möglich ist,

00:47:35: der ja sichtlich die Verantwortung auch für Kriegsverbrechen übernehmen muss,

00:47:40: und den man auch zu Rechen ziehen muss.

00:47:44: Aber wir sind eine Nation, in deren Namen auch Verbrechen fürchterlichster Art geschehen sind.

00:47:52: Und trotzdem ist es uns gelungen, als demokratischer Staat in die zivilisierte Völkergemeinschaft zurückkehren zu können.

00:48:00: Das lag aber nicht nur an uns Deutschen, das lag vor allen Dingen daran,

00:48:04: dass andere bereit waren, uns wieder die Hand zu reichen.

00:48:07: Das ist übrigens das Faszinosum der europäischen Integration, der Versöhnung innerhalb Europas.

00:48:14: In unsere Partnerländer, heute in Europa sind Länder, die von der Armee, in der mein Vater zum Beispiel Soldat war, zerstört worden sind.

00:48:23: Und deshalb habe ich das immer als großes Privileg empfunden, Europapolitiker sein zu dürfen,

00:48:29: Deutsche Europapolitiker.

00:48:31: Aber das, was für uns möglich war, muss auch für andere Nationen möglich sein.

00:48:35: Und deshalb, ich sehe heute, wenn mich jetzt jemand konkret fragt, wie soll das denn aussehen?

00:48:41: Da muss ich die Antwort geben, das weiß ich nicht.

00:48:44: Aber was ich mir vornehme ist, nicht aufzugeben, daran zu arbeiten und auch daran zu glauben, dass auch ein anderes Russland möglich ist.

00:48:54: Das ist schon angesprochen die europäische Ebene, die Europäische Union. Damals für Deutschland die Möglichkeit, wieder Anerkennung zu finden, aufgenommen zu werden in einer Staatengemeinschaft auch durch die europäischen Gemeinschaften damals.

00:49:07: Und eine Struktur, um Frieden unter den beteiligten Ländern zu sichern.

00:49:12: Und das ist ja wirklich faszinierend und beeindruckend.

00:49:15: Es hat seitdem zwar Kriege in Europa gegeben, nicht aber unter den beteiligten Ländern.

00:49:20: Das ist irre, das hat es nämlich die Jahrhunderte vorher ständig gegeben.

00:49:26: Was macht jetzt diese Situation, die wir haben mit einer Europäischen Union, von der manche gedacht haben, die ist angeschlagen.

00:49:34: Die taumelt, wir hatten den Brexit, wir haben viel Unstimmigkeiten gehabt.

00:49:38: Wir haben Länder, die von der Demokratie etwas sich distanzieren.

00:49:42: Was macht diese Situation mit der Europäischen Union?

00:49:47: Also eine riesige Herausforderung.

00:49:51: Die Kriegsituation in der Ukraine hat auch noch einmal Offen gelegt, dass die Europäische Union ein Verbund von Staaten ist, die eine sehr heterogene Entwicklung genommen haben,

00:50:07: sehr unterschiedliche historische Erfahrungen gemacht haben.

00:50:09: Das ist jetzt noch viel deutlicher geworden.

00:50:12: Also ich bin ein westdeutsches Nachkriegskind.

00:50:15: Ich habe eben meine Heimat beschrieben, da bist du so ein Geburts-Europäer.

00:50:22: Leute, die so alt sind wie ich und in Karl-Marx-Stadt geboren worden sind, oder in Strahl-Sund oder Frankfurt-Anderoide.

00:50:31: Die haben ganz andere Prägungen in ihren jungen Jahren gehabt.

00:50:34: Die leben in einer kommunistischen Diktatur.

00:50:37: Die allerdings, nehme das nur als kleines Beispiel, wurden bereits 1990 durch die deutsche Einheit geblieben.

00:50:44: Durch die deutsche Einheit Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union.

00:50:49: Walten, Polen, Ungarn, Tschechien, Slowaken haben da 14 Jahre lang darauf warten müssen, bis sie in die EU aufgenommen wurden.

00:50:59: In der Zwischenzeit waren diese Staaten aber alle in die NATO aufgenommen worden.

00:51:03: Unter anderem auch auf Druck der Vereinlichen Staaten von Amerika.

00:51:06: Dass Bürgerinnen und Bürger dieser Länder die NATO als ihnen näherstehend empfunden haben als die westlich geprägte EU, kann man nachvollziehen.

00:51:16: Daran kann es so sehen, dass die EU als homogenes Ganzes gibt es in den Institutionen in Brüß, in der Kommission und im Parlament.

00:51:28: In den Hauptstädten gibt es sie nicht.

00:51:31: Das ist eine ihrer Schwächen, eine ihrer Konstruktionsschwächen.

00:51:35: Das ist auf der einen Seite eine vertiefte Kooperation in Brüssel in den Institutionen vorantreiben, die Mitgliedstaaten.

00:51:43: Aber im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs konnten wir gestern Nacht sehen, der vergangenen Nacht einsehen.

00:51:49: Gibt es heterogenische Strukturen, teilweise zentrifugale Kräfte, wenn ich mal an Herrn Horvahn oder Herrn Kaczynski denke.

00:51:58: Die Europäische Union ist durch den Krieg nicht herausgefordert, das weiß ich schon vorher.

00:52:04: Aber der Kriegsituation, die Reaktionen darauf hat offengelegt, wie unterschiedlich wir eigentlich sind.

00:52:10: Und ich habe jetzt nur zwei Elemente genannt.

00:52:14: Die kalbinistische Verzichtsetik, die den Liberalismus in den Niederlanden und teilweise in Skandinavien prägt, in der Finanzpolitik,

00:52:24: prallt auch auf einen eher katholisch geprägten südlichen, mediterranen Raum.

00:52:29: Das muss man einfach auch mal kulturell sehen.

00:52:31: Das ist eine andere Baustelle.

00:52:34: Die Erweiterungsfragen, wir brauchen eigentlich den westlichen Balkan in der EU.

00:52:40: Aber was mich eben gefragt, Einstimmigkeitsprinzip in allen politischen Bereichen, wenn wir das weiter, also Mehrheitsentscheid,

00:52:47: wenn wir weiter in das Einstimmigkeitsprinzip haben, würde eine 30er oder 34er EU an die Grenze ihrer Handlungsfähigkeit getrieben.

00:52:57: Dann ist die Erweiterung kontraproduktiv.

00:53:00: Also viele Baustellen, aber einen Punkt, den hast du auch genannt.

00:53:07: Als ich in USO war, ganz am Anfang, gab es eine Debatte auf USO-Ebene.

00:53:14: Wir wollen die strukturelle Nicht-Angriffsfähigkeit von Staaten erreichen.

00:53:19: Über all die Kontroversen hinaus, die ich gerade genannt habe, hat die EU in ihrem Inneren genau diese strukturelle Nicht-Angriffsfähigkeit erreicht.

00:53:30: Keine EU-Staat würde heute einen Krieg gegen einen anderen EU-Staat führen.

00:53:35: Das ist undenkbar.

00:53:36: Das denke ich ist das große historische Erbe, dass wir da verwalten.

00:53:41: Alles andere als selbstverständlich nach dieser jahrhundertelangen europäischen Geschichte.

00:53:46: Ja, das ist so.

00:53:48: Das ist ja ein Ausblick, der auch Mut macht.

00:53:51: Der zeigt, es ist möglich, Strukturen zu schaffen, die Frieden sich an.

00:53:55: Absolut.

00:53:56: Lass uns an dieser Stelle schließen.

00:53:58: Du musst gleich weiter.

00:54:00: Wir sind ein bisschen zeitknappbar, aber lass uns tatsächlich hier einen Punkt machen.

00:54:04: Es ist vielleicht eine schöne Stelle, weil es zeigt, natürlich sind die Bedingungen extrem schwierig,

00:54:09: aber es kann auch gelingen, daraus Strukturen zu schaffen, in denen Frieden möglich ist.

00:54:14: Mir ist vielleicht ganz wichtig, dass wir in diesem Podcast, wenn wir über Europa reden,

00:54:19: eine Unterscheidung machen zwischen Regierungen, die Länder regieren und den Ländern selbst.

00:54:26: Herr Kaczynski ist nicht Pol.

00:54:29: Viktor Orban ist nicht Ungarn.

00:54:31: Die reklamieren gerne für sich, ich bin Pol, ich bin Ungarn.

00:54:36: Das ist ja, wenn wir das zulassen, ein doppelter Fehler.

00:54:41: Einmal schwächen wir damit die Opposition im Lande gegen diese Leute,

00:54:46: die unsere Unterstützung bedürfen, um sich gegen autoritäre Tendenzen zu wehren und gegebenenfalls durchzusetzen.

00:54:55: Und zum zweiten begehen wir einen Fehler, den wir in der EU wirklich überwunden haben und auch bewahren müssen,

00:55:02: dieses überwinden bewahren müssen.

00:55:04: Die Meinungsverschiedenheit von Regierungen ist die eine Sache.

00:55:10: Der Respekt von Völkern über Grenzen hinweg, über das Trennende hinweg, der gegenseitige Respekt,

00:55:16: ist eine andere Sache.

00:55:18: Olaf Scholz und Emmanuel Macron mögen vielleicht in einem Detail anderer Meinungen sein.

00:55:22: Das ändert nichts daran, dass Deutsche Unfranzosen sich gegenseitig in einer Ahnweise respektieren,

00:55:28: die es noch nie gegeben hat.

00:55:31: Wir haben aber im französischen Präsidentschaftswahlkampf, sowohl von Mélenchon als auch von Le Pen,

00:55:37: zum ersten Mal wieder antideutsche Töne gehört.

00:55:40: Wir haben im italienischen Wahlkampf zum ersten Mal wieder rassistische, nationalistische Töne gegen andere Völker gehört.

00:55:49: Deshalb ist es mir ganz wichtig, das ist auch so ein Beitrag, den wir als Eberstiftung national und international in unserer Arbeit leisten können.

00:55:57: Der Respekt vor dem anderen, vor der anderen Sprache, vor der anderen Kultur, der anderen Zivilisation ist die Grundlage des Friedens.

00:56:07: Und wenn wir das aufgeben, wenn wir wieder anfangen, in Stereotypen zurückzufallen, Vorurteile zuzulassen,

00:56:17: gerade in der Beziehung von Völkern zueinander, dann gehen wir an den gefährlichen Weg, den wir in Europa ja eigentlich überwunden haben.

00:56:26: Das zeigt ja auch, es ist nicht selbstverständlich, es ist nichts gesichert.

00:56:31: Du hast gesagt, das ist wieder so, dass wir Resonptiments gegen Deutschland in Wahlkämpfen, in Frankreich hören,

00:56:39: von einigen wenigen die Voraussetzungen für ein friedliches Miteinander ist Respekt voreinander.

00:56:45: Herzlichen Dank, Martin, für dieses, wie ich finde, starkes Schluss vor Ort.

00:56:48: Herzlichen Dank für deine Offenheit und deine Zeit in diesem einstündigen Gespräch.

00:56:52: Ich finde trotz der schwierigen Situation einen optimistischen Ausblick und aufgezeigt, wie sozusagen Frieden und Engagement für Gerechtigkeit gelingen kann,

00:57:04: eine klare Ablehnung von Pizza mit Sausvolle und Dels, ein klares Bekenntnis zu Aachen, Apprenten und noch ein Literatur-Tipp.

00:57:12: Mehr kann man nicht erreichen, der überforderte Frieden.

00:57:14: Auch das kommt in die Shownurz.

00:57:15: Martin, vielen lieben Dank für den Austausch.

00:57:17: Ich danke dir, Christian. Muss allerdings, wenn du gestattest, noch ein Satz los werden.

00:57:24: Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben wirklich in diesem Gespräch mit dir konfrontiert worden, mit dieser Frage, Pizza mit Sausollon de Es.

00:57:33: Das ist ja unfassbar.

00:57:35: Wie gibt es das?

00:57:37: Absolut.

00:57:38: Wie gibt es das?

00:57:39: Wie gibt es wirklich? Du magst dir das Entsetzen vorstellen können. Wir hatten sogar ein Gespräch mit einem Menschen hier, der aus Italien kommt, der in Italien geboren ist.

00:57:49: Und das Entsetzen war auch grenzenlos.

00:57:51: Gibt es tatsächlich auf der einen oder anderen Speisekater einer sogenannten Pizzeria?

00:57:57: Vielleicht, wenn die anderen Probleme erledigt sind, muss man sich dieses Thema nochmal vornehmen.

00:58:01: Es gibt in Köln über seine Pizzeria, in der kannst du eine Pizza-Macht in Schulz essen. Und die hieß bis vor 18 Jahren, hieß die Pizza Silvio Berlusconi.

00:58:12: Und nach dem von uns eben erwähnten Event hat der Pizzeria-Besitzer, das in Pizzer-Macht in Schulz uminandt, seine leckere Pizza mit Scharbskäse drauf, kann ich empfehlen.

00:58:24: Ich finde, es zeigt, es lohnt sich, sich zu politisch zu engagieren.

00:58:28: Absolut.

00:58:29: Kann man nicht erreichen. Super, mach mal.

00:58:31: Danke Christian. Bis dann.

00:58:34: [Musik]

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