Katarina Barley und die versprochene Chippendale Couch | 02 Zukunft gerecht Talk
Shownotes
Katarina Barley setzte sich schon früh mit viel Empathie für ausgegrenzte Menschen und gegen Ungerechtigkeit ein. Aufgrund ihres offenen Ohres für die Probleme ihrer Mitmenschen wurde ihr sogar eine Chippendale Couch für ihre eigene "Psychotherapeutenpraxis" versprochen. Im Gespräch mit Christian Krell erzählt sie, wie sie zu ihrer "zweiten Familie" SPD fand, spricht über die Wichtigkeit eines sozialen Europas und über die Konjunktur der Solidarität während der Corona-Pandemie.
Gast: Katarina Barley (SPD), Moderation: Christian Krell
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00:00:00: Herzlich willkommen zum Zukunftgerecht-Podcast der Friedrich-Ebert-Stiftung. Mein Name ist
00:00:10: Christian Krell. Ich darf dieses Gespräch hier moderieren. Der offizielle Titel, den habe ich
00:00:15: schon genannt, das Ding heißt "Zukunftgerecht-Podcast", aber unser inoffizieller Titel, das wie wir
00:00:21: das so in der Redaktion nennen, das ist "Unterfreunden". Wir wollen ein Gespräch unter Freunden führen,
00:00:27: so wie man das unter Freunden macht, offen, ehrlich, einander zugewandt, manchmal auch kritisch,
00:00:32: aber immer interessiert aneinander. Und wir wollen reden über Gerechtigkeit,
00:00:37: über soziale Gerechtigkeit, darüber, was Menschen antreibt und motiviert, sich für
00:00:42: Gerechtigkeit zu engagieren. Ich freue mich außerordentlich, dass wir heute einen besonderen
00:00:47: Gast haben, Katharina Bale ist da. Herzlich willkommen Katharina. Danke Christian. Schön, dass du Zeit hast
00:00:54: in diesen bewegten Tagen. Katharina Bale ist 1968 in der Dom- und Weltstadt Köln geboren,
00:01:01: eine Ausbildung her Juristin oder als Richterin und Anwältin tätig, später Generalsekretärin der
00:01:09: SPD-Bundesministerin, gleich für verschiedene Ressorts und ist heute Vizepräsidentin des
00:01:15: Europäischen Parlaments. Und sie sagt, soziale Gerechtigkeit, das stand für mich immer im
00:01:21: Vordergrund. Und es führt uns wunderbar zu unserer ersten Frage. Katharina, wir bitten unsere Gäste
00:01:26: immer, uns einen besonderen Ort zu nennen, einen Ort zu schildern, der für sie etwas mit ihrem
00:01:33: Engagement für soziale Gerechtigkeit zu tun hat. Das kann ein Ort sein, an dem man irgendwie krasse
00:01:37: Ungerechtigkeit erfahren hat. Das kann ein Ort sein, an dem man sich vielleicht zuerst engagiert hat.
00:01:42: Welcher Ort kommt dir da in den Sinn? Also, mir kommt in den Sinn ein Ort aus meiner Grundschulzeit,
00:01:50: ich bin in so einer Neubausitzung aufgewachsen, Reihenhäuser soweit das auch gereicht. Also,
00:01:57: eine Gegend im Vorort von Köln, wo die Menschen nicht viel und nicht wenig Geld hatten, also so
00:02:04: Durchschnitt, würde ich sagen, und war da in einer sehr netten Grundschule, an die ich sehr gerne
00:02:11: zurück erinnere. Und es gab in dem kleinen Vorort eine einzige Straße, die so einen schlechten
00:02:20: Ruf hatte. Ich will die gar nicht nennen, weil vielleicht hat sie diesen Ruf nicht mehr. Und aus
00:02:26: dieser Straße war auch ein Mädchen in meiner Klasse. Und ich war dann auch manchmal bei ihr zu Hause,
00:02:31: wir hatten sehr viele Kinder, uns waren auch Aussiedler in der Nähe und das ganze hatte so
00:02:38: einen schlechten Ruf, aber ich weiß noch, dass ich immer dachte, naja, ist alles ein bisschen enger
00:02:46: hier, das stimmt schon, aber das nicht so richtig nachvollziehen konnte. Aber ich merkte, wie diese
00:02:52: wie diese Schulfreundin Anja hieß sie, immer ein bisschen anders behandelt wurde als die anderen.
00:02:59: Also, gar nicht mal so sehr von der Lehrerin, die wirklich wunderbar war, aber auch so von den
00:03:05: Mitschülerninnen und Mitschülern, um diese Ausgrenzen, die da erfahren wurden, auch die viel
00:03:10: größere materielle Not, die sie hatte. Also, wie sie wirklich auch panisch wurde, werden irgendwie
00:03:15: mal ein Radiergummi verloren gehen oder so, weil sie einfach, weil es für die einfach eine ganz
00:03:20: andere Dimension hatte als für die meisten anderen Kinder in der Klasse. Das ist mir sehr in Erinnerung
00:03:26: geblieben mit 6, 7, 8, ja, die wieder eiltraum. Wie haben die anderen Kinder darauf reagiert? Also,
00:03:37: du sagst, sagen es gab dadurch Ausgrenzung? Ja, also sie wurde halt öfter gehänzt, also diese Straße
00:03:47: war eben so ein stehender Betrug, da und da und sie war auch recht forsch. Also sie hat sich dann
00:03:54: auch gewährt, auch zum Teil körperlich, also die Jungs kichten dann auch mal aufs Maul sozusagen.
00:04:01: Also sie musste es auf eine andere Weise lernen, sich durchzusetzen, als ich das so nicht mehr
00:04:06: kassiere. Ja, Katharina, wir haben über deine Grundschulzeit gesprochen. Ich habe gelesen,
00:04:13: du kommst ja aus einem Elternhaus, was ich, wenn ich es richtig überschaue, durch zweierlei
00:04:17: auszeichnet. Das ist einmal ein internationales Elternhaus, ein britischer Vater, eine deutsche
00:04:23: Mutter und ein politisch interessiertes Elternhaus. Ihr habt über Politik gesprochen. Kannst du dich
00:04:28: da an an frühe Themen erinnern über, die ihr gestritten habt, über die ihr diskutiert habt,
00:04:33: wo ihr euch gemeinsam engagiert habt? Das waren die Themen. Also die Themen waren eigentlich sehr
00:04:41: weit gefächert, weil mein Vater eben Journalist war. Er selber war zuständig für Sytoastasien,
00:04:48: das waren jetzt Themen, die nicht so oft bei uns aufliefen, aber wir haben halt immer gemeinsame
00:04:54: Nachrichten geschaut und darüber dann auch gesprochen. Also das ging auch los, schon als ich
00:05:01: sehr klein war. Das habe ich immer sehr zu schätzen gewusst, dass wir das im Seitentag
00:05:05: auch sehr ernst genommen haben. Und ich erinnere mich zum Beispiel an eine Diskussion über Amnesty
00:05:09: International, weil ich dann argumentiert habe, naja, das sind doch Leute, die sitzen im Gefängnis.
00:05:15: Also die haben doch dann irgendwas gemacht. Warum soll ich mich denn für die dann einsetzen? Wie gesagt,
00:05:19: da war ich echt klein. Da war ich auch vielleicht zehn oder was. Und das hat mein Vater mir dann
00:05:24: sehr ruhig erklärt und dann war es auch gelernt. Also später waren das eigentlich eher so allgemein
00:05:32: politische Sachen. Also klar, der RAF Terror war natürlich sehr präsent. Also die Frage,
00:05:40: wie setzt man Veränderungen durch, die man haben will in der Gesellschaft und welche halten wir
00:05:50: überhaupt für sinnvoll. Das war, habe ich auch noch sehr präsent. Ja, wie setzt man Veränderungen
00:05:56: durch? Du hast dich denn ja irgendwann dazu entschieden, um Veränderungen zu bewirken,
00:06:01: in eine Partei einzutreten. Eine besondere Partei, die SPD, eine große Partei, eine Volkspartei.
00:06:07: Das war das Motiv. Es gab ja andere Möglichkeiten natürlich sich zu engagieren und auch andere
00:06:14: Parteien. Warum diese Form des Engagements und warum die SPD? Also ich gebe zu, dass ich erstmal
00:06:19: das eigentlich anders machen wollte. Ich wollte eigentlich in die Frühstück für meine Fahrtage
00:06:23: mal treten und auch Journalistin werden und war da auch in der Berufsberatung nach dem Abi und
00:06:29: wie sagten dann aber, du musst einfach ausstudieren. Sonst kriegst du überhaupt kein Voluntariat,
00:06:35: ist in dem Grund genommen egal was. Und dann habe ich lange überlegt und habe mich dann für Jura
00:06:39: entschieden, hätte auch was anderes werden können und bin dann da hängendeblieben. Am Ende bin
00:06:43: ich nicht Journalistin geworden, weil mir Jura pur, dann muss ja viel Spaß gemacht hat. In die Partei
00:06:50: bin ich danach her eingetreten, eigentlich ehrlich gesagt ein bisschen aus Zufall. Also ich habe
00:06:55: immer sehr, sehr viel Unmacht in meinem Leben. Ich hatte immer so einen Fun-Scribe, immer viel Sport,
00:07:00: immer viel drüberum. Meine Zeit war eigentlich immer ganz gut ausgefüllt. Dann kam ich nach Trier,
00:07:06: wo ich heute noch lebe und mit meinem späteren Mann, der da einen Job bekommen hatte und ich
00:07:15: war dabei meine Doktorarbeit zu schreiben. Das ist eine ausgesprungen Einsam-Amgelegenheit,
00:07:19: wenn man es selber macht. Man sitzt wirklich an einem Projekt, was ja außer einem selber niemand
00:07:26: macht. Ich hatte in Trier nicht studiert, ich saß also in dieser Bibliothek und kannte keine Sau
00:07:31: aufgeschaut. Und das ist blöd, wenn man dann da hockt und im Mensa dann alleine geht und so,
00:07:38: natürlich habe ich dann ein paar Sachen gemacht, aber zu richtig war ich noch nicht angekommen.
00:07:42: Und dann gab es irgendwie eine Wahl, ich weiß gar nicht mehr welches mal. Die bekam Infostände
00:07:47: auf dem Markt und ja, so kann das dann. Das war dann ein kurzer Weg und für mich war eigentlich dann
00:07:55: natürlich eine SPD oder Grüne. Und da war eigentlich die Entscheidung aber auch sehr schnell klar,
00:08:03: weil ich genau wie du sagst, gerne diese Bankbreite haben wollte. Also ich wollte nicht so eine
00:08:09: Nischengesellschaft ab, oder ich meine es jetzt gar nicht böse. Also ich freu mich nicht in so einem
00:08:16: sehr begrenzten Bevölkerungsspektrum unterwegs sein, sondern ich wollte wirklich die komplette
00:08:24: Bankbreite der Gesellschaft haben, um selbst zu lernen, was ist wichtig, was ist gut für diese
00:08:34: ganze Gesellschaft und ich auch da rechtfertigen zu müssen für das, was ich eben befühl,
00:08:40: ich stehe. Und sowohl vor dem Hartz-4-Empfänger als auch vor der Topmanagerin, das war ganz,
00:08:47: ganz wichtig und das habe ich auch nie bereit. Das zeichnet ja heute noch die SPD aus. Sie ist
00:08:56: eine Partei, die von ihrer Zusammensetzung her einigermaßen heterogen ist eine anders als andere
00:09:02: Parteien, die du angesprochen hast, die Grünen oder auch die FDP sind, ja, was sozusagen sozial
00:09:08: strukturell viel geschlossen war. Ich muss eine Frage noch unbedingt loswerden, die sich irgendwo
00:09:14: glaube ich zwischen der Grundschule und dem Parteieintritt bewegt. Die Mutter deines ersten
00:09:18: Freundes hat ihr ein Buch geschenkt mit dem Titel "Wie liebt man, einen schwierigen Mann". Wie reagiert
00:09:25: man auf so ein Geschenk, bitte schön. Was sagt man? Ich habe gelacht, ich habe das Buch auch immer
00:09:33: noch, weil sie natürlich, er war einst ein Kind und er ist es noch und sie kannte ihn natürlich
00:09:40: gut und das war auch kein einfacher Mann. Ich muss sich mal überlegen. Ich würde jetzt nicht sagen,
00:09:51: dass ich in meiner Partnerschaftenhang zu schwierigen Männern habe, sondern dass ich mit schwierigen
00:09:58: Menschen in der Regel ganz gut auskomme, was mir in der Politik oft geholfen hat, weil ich,
00:10:06: ja, warum eigentlich? Also ich bin erstens nicht so schnell zu kränken, weil ich oft merke, spüre,
00:10:18: wenn jemand sich schwierig verhält, um es mal so zu formulieren, dass das dann nicht ein Problem ist
00:10:25: mit mir, sondern ein Problem mit sich selbst und damit kann ich relativ entspannt umgehen. Ja,
00:10:30: und ich glaube, dass die meisten Menschen sich bei mir auch aufgehoben fühlen, auch jährige Menschen.
00:10:36: Also in der Schule war das immer so ein gefügeltes Wort. Also eine meiner Freundinnen hat mir mal
00:10:42: zum Geburtstag so einen Schuhkarton geschenkt, den sie zum Karteikarten unfunktioniert hatte und wo
00:10:47: sie dann ganz vielen Leuten schon so Karteikarten reingelegt hatten, die immer zu mir kamen und
00:10:51: ihr Herz ausschütteten und das waren dann ab zum Teil ein bisschen Leute, mit denen aber nicht
00:10:56: so viel zu tun haben wollten und mein eigentliche erster Freund, das war dann noch ein bisschen
00:11:04: früher, der hat mehr versprochen, ah nee, das war gar nicht er, das war ein anderer Bekannte,
00:11:11: der hat mehr versprochen von seinem ersten Gehalt, ich denke mir die Chippendale Couch für meine
00:11:16: Psychotherapeutin Praxis, also ist das dann aber am Ende auch nicht bekommen. Aber das bricht ja für
00:11:23: eine Gabe oder für eine Eigenschaft, die in der Politik super wichtig ist, dass man sozusagen
00:11:29: Menschen unvoreingenommen gegenüber tritt, dass man zuhören kann und dass Menschen sich mit
00:11:34: Vertrauen an allen benden können. Das ist ja verschiedene Stationen in dieser Partei eingenommen
00:11:40: und die Bandbreite ist ja wirklich bemerkenswert. Ich habe mir Mitglied im Ortsbeirat Trier Nord als
00:11:47: eine Station notiert, eine andere Station ist Generalsekretärin auf Bundesebene. Wie hast du
00:11:53: diese ersten Stationen erlebt, dieses Engagement? Ist es gut, weil es unmittelbar ist, man ist sehr
00:12:00: nah an Menschen dran oder ist es doch, weil der Radio so etwas zu bewegen, vielleicht nicht so groß
00:12:06: wie in der Bundespolitik ist, ist es deshalb vielleicht weniger attraktiv, wie würdest du das
00:12:10: im Vergleich beschreiben? Also das war eine ganz wichtige Zeit für mich. Ich bin im Grunde genommen
00:12:16: am ersten Tag, als ich gerade eingetreten war, sofort in einem M-Tabuxiert worden, wie das
00:12:22: ja vielen jungen Frauen passiert und Trier Nord, muss man jetzt wissen, wo ich damals lebte, ist
00:12:28: ein sozialer Brennpunkt und gerade deswegen ist es für mich auch heute noch eine ganz, ganz wertvolle
00:12:35: Erfahrung. Da ging es dann wirklich auch um Quartierentwicklung, wo wir natürlich am Ende als
00:12:42: Ortsbeirat nicht unbedingt die letztenscheinende Instanz waren, aber schon auch viel immer wieder
00:12:48: angehört wurden und viel mitzureden hatten und wir kannten natürlich die Ecke besser als
00:12:53: Teile des Stadtrates und das war eine ganz, war für mich eine sehr, sehr wertvolle Erfahrung.
00:13:01: Ich kann das nur allen empfehlen, auch Kommunalpolitik zu machen, weil das ist dann genau der Punkt,
00:13:06: die die Leute kommen, dann zu dir und sagen, hier werden das und das Problem, was weiß ich,
00:13:14: ob das jetzt irgendwo ein Fußgänger überweg ist oder eine Kneipe, die zu laut ist oder
00:13:19: dass man irgendwo einen Jugendtreffpunkt braucht oder so. Und im Grunde genommen ist die Wahlkreisarbeit
00:13:27: später als Abgeordnete gar nicht so viel anders. Also mit all diesen Dingen kommen die Menschen
00:13:31: dann trotzdem weiterhin, die kommen dann aber natürlich auch, dann kommt auch der Oberbürgermeister
00:13:38: und möchte Unterstützung, wenn es um Bundeszuschüsse geht oder so, also es kommt was hinzu.
00:13:43: Aber die Menschen, die zu dir kommen und Hilfe wollen, Hilfe brauchen, die bleiben.
00:13:48: Ja, das ist eine wertvolle Erfahrung, die bleibt und die Art und Weise, wie Menschen auf einen
00:13:55: Zutreten, die bleibt. Wenn man darüber redet, warum man sich politisch engagiert, wenn man
00:14:02: sich für Politik engagiert, dann ist ja ein Phänomen dieser Zeit, dass einem ganz unterschiedliche
00:14:07: Reaktionen entgegenschlagen. Ich habe den Eindruck, es gibt manchmal, wenn Politikerinnen und Politiker
00:14:12: in Veranstaltungen sind und ihnen da Menschen begegnen, gibt es oft Respekt und freundliche
00:14:17: Reaktionen. Wenn über die Politiker im Allgemeinen gesprochen wird, ist das meist nicht mehr ganz so
00:14:23: freundlich, da hat man dann Vermutungen darüber, wie die eigentlich so sind. Und dann gibt es noch
00:14:27: ein ganz anderes Phänomen, das ist so etwas wie Hate Speech, Hass, Verwöhnung, die einem im Netz
00:14:33: begegnen und die sich manchmal in die reale Welt transportieren. Wie erlebst du das zunächst
00:14:39: und warum machst du trotzdem weiter? Man könnte ja auch darauf verzichten. Ich glaube, es hilft,
00:14:44: wenn man ein gewisses Lebensalter hat und eine gewisse Lebenserfahrung hat, wenn man in die
00:14:49: Politik, in die professionelle Politik geht, weil man einfach sehr genau schon weiß, wer man ist,
00:14:54: also im Idealfall natürlich anders, glaube ich, im Leben steht. Also, hört sich jetzt altklug an,
00:15:00: sorry, aber ich kann ja nur meine persönliche Erfahrung dir reinbringen. Es ist genauso,
00:15:09: wie du sagst und ich glaube, die Erfahrungen machen fast alle Politiker*innen jedenfalls die,
00:15:14: die nicht ganz in der ersten Reihe stehen, dass man immer wieder hört, die Politik geht. Das ist ja
00:15:20: wirklich alles nur Heiferspecken und nur alles böse Menschen und Geldwirke und so weiter. Sie sind
00:15:26: natürlich die totale Ausnahme. Das hört, glaube ich, fast jeder und jede. Bei denen, die jetzt ganz
00:15:34: oben stehen, ist es ein bisschen schwieriger, weil die eben oft auch nicht mehr so die Gelegenheit
00:15:42: haben, viel in Kontakt zu gehen. Die haben eine ganz andere Taktung, die müssen rein in die
00:15:48: Veranstaltung sofort wieder raus, weil das nächste kommt. Die haben dann oft auch Security um sich
00:15:53: rum. Da ist es ein bisschen schwieriger, weil ich, also es ist trotzdem meine Erfahrung, dass das so ist.
00:15:59: Und mit dem Hass im Netz, ja, es ist natürlich ein Phänomen, was wir zunehmend haben. Auch da
00:16:07: habe ich ein bisschen Glück gehabt, glaube ich, weil ich damals war es Facebook 2013, als ich
00:16:14: angefangen habe mit dem Beikampf, da bin ich da so reingesprungen. Ich weiß das noch genau,
00:16:18: mit dem ersten wunderschönen Foto, herrlicher Tag in Trier, die Basilika. Ich bekriegte es,
00:16:23: kann man gar nicht mehr finden auf Facebook, aber es war toll. Und das war mein Anfang. Und ich habe
00:16:28: Facebook die ersten zwei Jahre dafür genutzt, wirklich intensiv mit Leuten zu diskutieren. Also
00:16:34: ich habe da Stunden mit verbracht, weil ich es einfach spannend fand. Das waren ja Leute, die kannte
00:16:38: ich gar nicht. Und dann wurde ich Generalsekretärin und dann ging jetzt ein ganz anderes Bin los. Dann
00:16:45: hat man einen Amt und dann ist man auch für viele ein Zielscheibe, eine Hassfigur. Und dann, aber
00:16:51: dadurch, dass sich jetzt fast zwei Jahre lang so viel diese Kultur bepflegt hatte, hatte ich dann
00:16:57: Leute, die sind dann reingesprungen. Die war ich noch nie begegnet. Aber die haben gesagt,
00:17:03: mal mag ja sein, dass andere Politiker so sind, aber die ist nicht so. Das war am Anfang eine ganz
00:17:11: positive Erfahrung. Irgendwann natürlich je größer dann die Follower schafft wird und je
00:17:17: wichtiger die Aufgaben werden. Irgendwann können die, die man da am Anfang, das sind ja dann auch
00:17:25: nur ein paar Hundert oder maximal ein paar Tausend, da auch nicht mehr gegenhalten. Aber ich fand
00:17:30: das eigentlich eine schöne Erfahrung. Und ich versuch mir das immer so auch weiterhin zu erklären.
00:17:35: Die Leute, die da rumhäuten, die kennen mich ja nicht. Also deren Zielscheibe ist mein, ist Politik
00:17:45: insgesamt, ist vielleicht meine Partei, ist vielleicht mein Amt, was auch immer. Aber nicht
00:17:51: als Person kennen die nicht. Und deswegen gelingt es mir meistens nicht immer, das auch von mir
00:17:57: als Person wegzuhalten. Ja und man kann ja ergänzen, die, die dich kennen. Da gibt es dann die
00:18:04: Solidarisierungsaktionen. Ja, das ist ja eine total schöne Erfahrung. Ich habe zu dem
00:18:12: Voraus eine sehr, sehr wahnsinnig dankbar. Gerade, ja da gibt es so ein paar Genossinnen und
00:18:18: Genossen natürlich, die dann auch wirklich vorne weg sind und auch sonst so das Feedback,
00:18:23: was man kriegt. Ich hatte jetzt gerade letzte Woche wieder was mit der FAPS, also im Runde
00:18:27: genommen sowas ähnlich wie die Friedrich-Eberleitung auf europäischer Ebene. Oder ist es ja eigentlich,
00:18:33: ne? Die Friedrich-Ebert-Stiftung quasi auf europäischer Ebene, also die Sozial- und
00:18:38: sozialen Stiftung. Da hatte ich ne polnische Gesprächspartner und so, wie dich jetzt hier.
00:18:44: Und dann, als es zu Ende war, sagte sie, you're our hero in Poland. Also weil ich, weil ich wirklich
00:18:51: in Polen, also mich für Rechtsstaatlichkeit ja auch gerade in Polen sehr engagiere. Und ich kriege
00:18:56: dann natürlich aus Polen und habe nicht viel Hate Speech, ganz schlimme Mails, Anrufe in
00:19:01: mein Bürgerbüro, wo ja meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit fertig werden müssen. Das
00:19:06: ist ja gar nicht mal ich. Und dann kommt so Feedback, das kommt dann öfter mal und dann
00:19:12: weißt du aber, wofür du es tust und das ist das Wert. Das verweist darauf, warum macht man es
00:19:18: trotzdem? Es gibt dann Feedback-Rückmeldungen und man hat irgendwie den Eindruck, was zu bewegen
00:19:24: und man kann etwas bewegen. Das uns kurz in unser Dafür-Dagegenspiel springt. Ich erkläre kurz
00:19:36: die Spielregeln. Wir kommen gleich nochmal, das müssen wir vertiefen auf Europa zurück. Aber
00:19:40: wir haben eine Reihe von Fragen bei unserem Dafür-Dagegenspiel, die auch viel natürlich mit
00:19:44: Europa mit deiner aktuellen Wirkungsstätte zu tun haben. Die Spielregeln sind einfach erklärt.
00:19:49: Ich werde ungefähr 20 Begriffe nennen und ich würde dich bitten, mit dafür oder dagegen zu
00:19:54: antworten. Es gibt natürlich auch einen Enthaltungsjoker. Ja, wenn du nicht möchtest, ist es auch erlaubt.
00:20:01: Und wir legen los mit Fridays for Future. Soll ich das dann auch begründen, was ich sage oder
00:20:08: wirklich nur dafür dagegen? Gerne nur dafür und dagegen und wir kommen gleich nochmal drauf
00:20:12: zurück, wenn du magst. Okay, dann dafür. Die CO2-Steuer. Dafür. Ein verpflichtendes soziales Jahr
00:20:22: für junge Menschen. Da geht es. Autofreie Innenstädte. Dafür. Das Lieferkettengesetz. Dafür.
00:20:34: Unbedingt dafür. Wahlen für Menschen ab 16. Dafür. Schon sehr lange. Den Euro in allen EU-Ländern einführen.
00:20:45: Ja, dafür, klar. Schon gut. Ursula von der Leyenarzt-Kommissionspräsidentin. Weiß dagegen.
00:20:56: Die Evakuierung von Flüchtlingslagern an den EU-Grenzen. Dafür. Der Beitritt in
00:21:07: Mord-Mazedoniens zur EU. Dafür. Frühstück im Bett. Immer dafür. Herrlich. Trier als Wohnort.
00:21:18: Sehr dafür. Ursula als Hauptstadt der EU. Dafür. Abends bis spät in die Nachtserie und
00:21:27: gucken, auch wenn der nächste Termin morgens um 7 Uhr eingetragen ist. Dagegen. Ich bin kein Serienmensch.
00:21:34: Karneval in Köln. Dafür. Dafür. Dafür. Das Herz geht mir auch, wenn ich das sagen darf,
00:21:45: als Mal. Ein Länder. Der neue EU-Rechtstaatsmechanismus. Dafür. Auch wenn es noch besser gegangen
00:21:54: wäre. Das ist klar. Letzte Frage. Eine europäische arbeitslosen Versicherung. Arbeitslosen Rückversicherung.
00:22:04: Dafür. Das müssen wir genauer in den Blick nehmen. Jetzt habe ich den Joker gar nicht gebraucht.
00:22:09: Nie genau. Vielleicht ist der ja wertvoll im weiteren Verlauf des Gesprächs. Aber es gab die
00:22:16: eine oder andere Stelle. Viel ist schwer. Ich glaube, uns beiden nicht viel mehr auszuholen.
00:22:23: Ich glaube, die erste Stelle, wo das so war, wo ich zumindest neugierig war, war ein verpflichtendes
00:22:29: soziales Jahr. Das ist ja eine Überlegung, die im Zusammenhang mit Beerpflicht diskutiert wurde
00:22:34: und irgendwie so ähnlich funktionieren soll. Und du hast so ein bisschen gezögert und dann
00:22:38: gesagt, nee. Dagegen. Warum? Ich finde das eine wirklich schwierige Frage. Also ich finde,
00:22:46: es ist gut, wenn junge Menschen, nicht nur junge Menschen im Übrigen sich ein Zeit lang so ein
00:22:52: bisschen in den Ninsen allgemeinheit stellen. Allerdings. Also zum einen, das jetzt ein bisschen
00:23:01: Haarspalterei. Aber zum einen muss das dann kein soziales Jahr sein. Es kann auch ein ökologisches
00:23:05: Jahr sein oder mögliche. Da kann man viele verschiedene Sachen machen. Und zum anderen
00:23:11: kann es auch Lebenssituationen geben, wo das einfach nicht gut geht. Also was ich in meiner Zeit
00:23:19: als Familienministerin gelernt habe, ist, dass es eine gar nicht so kleine Zahl von
00:23:23: jungen Menschen gibt. Zum Beispiel die Pflegen. Also die Eltern, Geschwister oder so, die da in der
00:23:32: Pflege sehr eingebunden sind. Oder es kann viele andere Gründe geben. Also sowas als zur Pflicht
00:23:38: zu machen. Unabhängig von den Lebensumständen finde ich schwierig. Aber ich würde gerne die
00:23:43: Möglichkeit allen jungen Menschen eröffnen. Ich würde diese Möglichkeit, die haben wir ja auch
00:23:47: durch den Luft, die durch den Bundesfreiwilligendienst auch durchaus später noch eröffnen. Und ich
00:23:53: finde es toll, wenn alle das machen und wir das möglichst attraktiv machen. Es gibt das ja auch
00:24:00: auf europäischer Ebene zum Beispiel. Ja, genau. Verschiedene Möglichkeiten und das Play-Doh
00:24:05: jeder für ist das einfacher zu machen, aber nicht verpflichtend. Wir haben so verschiedene
00:24:12: europäische Themen berührt, wo es dann quasi den Wunsch gab, glaube ich, die ein bisschen zu
00:24:18: vertiefen. Der neue EU-Rechtsstaatsmechanismus. Da haben sie schon über Polen gesprochen,
00:24:22: eben die Hassmails und Anrufe, die dich aus Polen erreichen. Und du hast gesagt,
00:24:28: na ja, also ich bin schon dafür, ich hätte es mir besser gewünscht. Wie hätte er besser sein können.
00:24:35: Also es gibt viele Punkte, wo das Parlament insgesamt, also auch durchaus ein bisschen die
00:24:41: konservative Fraktion hinein sich den mit scharferen Zähnen gewünscht hätte. Also in der
00:24:50: europäischen Gesetzgebung muss ja immer ein Kompromiss gefunden werden. Die Kommission macht
00:24:55: einen Vorschlag, ist dann raus und Rat und Parlament müssen sich dann über die entpürtige
00:25:01: Fassung einigen. Die dürfen aber keine Vorschläge machen und so hat man zwischen diesen drei
00:25:05: Institutionen so ein Gleichgewicht. Und Parlament und Rat saßen da schon so ein bisschen an den
00:25:13: entgegensetzten Enden der Stange. Wir wollten ihn halt möglichst scharf haben und der Rat,
00:25:18: da sind dann natürlich Regierungen wie Polen und Ungarn drin, wollten das natürlich nicht.
00:25:21: So und was ich am liebsten geändert hätte oder ändern würde, wenn ich es könnte,
00:25:28: ist, dass nur solche Rechtsstaatsverstöße erfasst werden, die sich auf das europäische
00:25:35: Budget auswirken. Also die irgendwie sich finanziell auswirken und das finde ich halt
00:25:42: schwierig, weil das ist natürlich ganz einfach bei Korruption und bei Betrug und so weiter.
00:25:50: Es ist auch klar beim Thema Unabhängigkeit und Justiz, weil wir schon lange rechtberechtigende
00:25:56: EU-Gerichtshofs haben, dass wir eine unabhängige Justiz brauchen, um die Mittelvergabe vor
00:26:03: Ort zu kontrollieren. Also auch das wird runterfallen, aber schwierig wird es schon bei freien Medien.
00:26:09: Wenn du in Ungarn die komplette Medienlandschaft dir einverleibst als Partei durch eine Stiftung,
00:26:17: hat das Auswirkungen auch das die EU-Gate oder nicht? Ich hoffe ja, ich hoffe, dass der
00:26:24: Europäische Gerichtshofs auch hier sagen wird, Medien haben eine Kontrollfunktion, aber sicher
00:26:28: ist das nicht. Und wo es relativ sicher ist, dass es nicht der Fall sein wird, ist beim
00:26:33: Minderheimenschutz. Und auch das ist der Punkt, der mit Rechtsstaatlichkeit zu tun hat. Also
00:26:38: es sind eben ganz viele Fälle gar nicht von diesem Mechanismus erfasst und das finde ich
00:26:43: sehr schade. Dieser Mechanismus hat ja das Ziel sozusagen
00:26:51: verschiedene Formen von Rechtsstaatlichkeit, von liberaler Demokratie. Du hast einige angesprochen,
00:26:56: zu sichern, zu stabilisieren und trotzdem natürlich die Länder dabei zu halten. Wir
00:27:04: haben ja Interesse, Polen, Ungarn und andere Staaten quasi als Mitgliedstaaten zu halten,
00:27:11: aus einer proeuropäischen Überlegung heraus. Und ich glaube, wir beide haben sozusagen
00:27:19: so ein proeuropäischen Impetus, wenn man nochmal auf deine Biografie schaut, diese sehr internationale
00:27:24: Herkunft, dann erklärt sich das irgendwie von selbst. Wie würdest du dieses Anliegen,
00:27:31: diese ganze Europai-Idee, diese Überzeugung, dass das gut ist, wenn Länder dort zusammenarbeiten,
00:27:36: Menschen erklären, die das gar nicht so biografisch mitbringen? Wie kann man die begeistern?
00:27:40: Also ich finde das gar nicht so leicht zu beantworten, weil da wahrscheinlich jeder
00:27:46: Menschen einen anderen Zugang zu hat. Und ich bin da, wie du sagst, sehr geprägt durch meine
00:27:50: Biografie, auch dadurch, dass die Familien meines Vaters und meiner Mutter auf den
00:27:55: Gegensätzenseiten des Zweiten Weltkrieges standen. Und den habe ich natürlich nicht mehr erlebt,
00:28:00: aber meine Eltern haben sie als Kinder noch erlebt. Und wenn ich so durch meinen Stammbachen
00:28:05: sozusagen gehe, dann und alle Seehe, die da geschorben sind, unter welchen Umständen auch immer,
00:28:13: für mich ist das einfach noch sehr präsent. Es ist mir klar, dass das für Menschen, die jetzt
00:28:19: deutlich jünger sind, als ich nicht mehr so im Vordergrund steht. Aber für mich war das immer
00:28:23: eigentlich das Wichtigste. Und für die jungen Menschen, glaube ich, man muss das ja nicht
00:28:31: quasi Geburt erleben. Man kann es ja erleben im Laufe des Lebens. Also ich habe ein Jahr in
00:28:36: Paris studiert mit einem Erasmus-Stipendium. Das war der zweite Jahrgang überhaupt erst,
00:28:40: Das wusste ich nicht, was ich bei dem gab.
00:28:43: forever.
00:28:44: Das war mal schon für sich eine super Erfahrung.
00:28:47: Dann habe ich da auch noch meinen spätem Mann kennengelernt,
00:28:51: der wiederum auch zwei Staatsangehörigkeiten hat, also half Spanier, halb Niederländer.
00:28:57: Wir haben dann zwei Kinder zusammenbekommen, die vier Großeltern aus vielen verschiedenen Ländern haben.
00:29:03: Alles europäische Länder, die sich eben wie gesagt zum Teil seit Jahrhunderten bequippt haben.
00:29:07: Ich finde, dass so eine unfassbare Bereicherung diese Möglichkeit zu haben,
00:29:14: als immer Menschen oder auch später im Arbeitsleben,
00:29:17: das ist einfach das, ich will jetzt gar in Berlin arbeiten oder schon irren,
00:29:20: oder eine Ausbildung machen oder was auch immer.
00:29:23: Oder ein Jahr wird zur Schule gehen oder whatever
00:29:26: und diese Freiheit, die man hat, den eigenen Tellerrand zu erweitern.
00:29:32: Mir würde das reichen. Bei manchen geht es dann halt um die Frage,
00:29:38: problemlösen, lieber gemeinsam als alleine, zum Beispiel Klimaschutz, aber auch Digitalisierung.
00:29:46: Dass wir nicht jedes Land für sich darungrosselt und irgendwelche Regeln baut,
00:29:51: das eigene Gewicht zu stärken, vielleicht zum USA, China, Russland,
00:29:58: ist auch für viele Argumente, es gibt unglaublich viele Argumente.
00:30:02: Das ist für jeden, glaube ich, was anderes.
00:30:06: Jeder begründet es aus seinen eigenen Erfahrungen, wie du sagst,
00:30:11: aus seiner eigenen Biografie.
00:30:13: Lass uns noch ein bisschen reden über deinen deutsch-britischen Hintergrund
00:30:18: und etwas über diesen Brexit reden.
00:30:21: Das ist ja eben darüber gesprochen.
00:30:23: Es geht auch darum, Probleme irgendwie zu regeln
00:30:26: und die Frage auf welcher Ebene macht man.
00:30:28: Das macht man das im nationalstaatlichen Rahmen, macht man das auf europäischer Ebene
00:30:32: und bei einem Teil, bei einem großen Teil der Briten, hat dieses Motiv ja offenbar verfangen.
00:30:37: Take-back-Control, wir kontrollieren das jetzt wieder selber.
00:30:41: Hast du solche Debatten in deiner Familie auch geführt,
00:30:45: mit sozusagen den unterschiedlichen Zweigen der Familie
00:30:48: oder waren die alle auf Seiten der Pro-Europäer?
00:30:51: Ich werde tatsächlich nicht ganz sicher, wo meine Verwandtschaft sich wiederfinden würde,
00:30:56: weil die politisch eher ein bisschen konservativer sind als ich.
00:31:01: Aber mein Onkel hat sich so im Mittleren und Alters selbstständig gemacht,
00:31:06: das Unternehmer geworden und vielleicht deswegen
00:31:09: oder weil sie selber als Engländer inzwischen in Schockland leben.
00:31:13: Also die waren ganz klar gegen den Brexit.
00:31:15: Da war ich auch sehr froh.
00:31:17: Mein Cousin engagiert sich bei den Lib Dems, also bei den Liberalen in der UK,
00:31:22: die ja auch gegen den Brexit waren.
00:31:25: Also insofern meine Verwandtschaft, die nicht so sonderlich umfangreich ist in Großbritannien,
00:31:30: ist also schon sehr klar, hat sich gegen den Brexit ausgesprochen.
00:31:35: Aber natürlich habe ich mit vielen anderen Menschen darüber diskutiert
00:31:38: und war bei manchen sehr erstaunt.
00:31:42: Aber lobischerweise in meinem Umfeld gab es mehr Brexit-Gegner als Befürworter.
00:31:49: Wie erlebst du jetzt den Blick auf den Brexit?
00:31:54: Ich frage das auch, weil zumindest die Meinungsumfragen über Europa hinweg
00:32:00: in allen Ländern nach dem Brexit ein Anstieg bei der Befürwaltung
00:32:05: für diese europäische Integration, für diese EU-Verzeichnungen.
00:32:11: Ja, also die Mehrheit war ja unglaublich knapp in der UK.
00:32:17: Das muss man ja erst mal sagen.
00:32:19: Und sie hat das Land komplett gespalten.
00:32:22: Also Jung, Alt, Stadt, Land, die einzelnen Landesteile,
00:32:28: das hat sehr, sehr viel Spaltung auch durch Familien hindurch bewirkt.
00:32:35: Also ich glaube, die UK selber hat das nicht gut getan.
00:32:40: Eine Zeit lang, glaube ich, war es allen bewusst,
00:32:44: wie negativ sich der Brexit auswirken würde,
00:32:47: insbesondere für die Britinnen und Briten selbst.
00:32:50: Ich habe es gerade letzte Woche gelesen,
00:32:53: dass zum Beispiel Spanien jetzt ernst macht
00:32:55: und die vielen, vielen britischen Staatsangehörigen,
00:32:58: die dort dauerhaft leben, jetzt zurück schickt,
00:33:03: wenn sie nicht den spanischen Aufenthaltsstatus beantragen,
00:33:07: der auch mit Steuernzahlen einhergeht.
00:33:09: Und dass da jetzt also ganz, ganz viele zurückmüssen nach Jahren,
00:33:14: die sie in der schönen spanischen Sonne gelebt haben.
00:33:17: Es gibt natürlich den einen Punkt, nämlich die Impfkampagne,
00:33:21: die das Ganze jetzt so ein bisschen dreht,
00:33:25: was insofern ihre Niedergeschichte ist,
00:33:27: weil der Brexit mit der Impfkampagne
00:33:30: gerade mal gar nichts zu tun hat.
00:33:32: Also die Gesundheitspolitik ist keine Kompetenz der Europäischen Union.
00:33:38: Das ist etwas, was die Mitgliedstaaten freiwillig gemeinsam machen
00:33:41: und wo jeder Mitgliedstaat hätte sagen können,
00:33:43: wir machen das alleine.
00:33:45: Also auch UK in der Europäischen Union hätte sagen können,
00:33:48: wir beschaffen unseren Impfstoff alleine.
00:33:50: Das hat mit dem Brexit nichts zu tun.
00:33:52: Ja, das verweist so ein bisschen auf diese Struktur Europas.
00:33:57: Du sagst, Gesundheitspolitik ist keine hergemeinschaftete Politik.
00:34:02: Da kann man freiwillig zusammenarbeiten.
00:34:05: Und das trifft ja für viele Politikbereiche zu,
00:34:08: in denen es um, ich würde sagen, Gerechtigkeit geht,
00:34:11: um Soziales geht.
00:34:13: Die Europäische Union war ja großartig darin,
00:34:15: einen gemeinsamen Markt zu schaffen.
00:34:17: Du bist angetreten in deinem Wahlkampf für ein soziales Europa.
00:34:21: Kann dieses Europa überhaupt sozialer werden?
00:34:24: Die Verträge sind doch so eindeutig,
00:34:27: dass das doch eigentlich schwierig ist.
00:34:29: Oder bin ich da zu klein, glaube ich?
00:34:32: Also erstmal finde ich, schadet es nicht,
00:34:35: sich die Grundidee nochmal genau anzuschauen.
00:34:38: Weil zum Beispiel die Schumandeklaration,
00:34:40: der einen 70. Geburtstag, wie ich kurz begangen habe,
00:34:43: spricht eben nicht nur von der Wirtschaft,
00:34:46: nicht nur vom Frieden,
00:34:48: sondern auch davon, dass den Arbeiterinnen und Arbeiter,
00:34:53: das war damals noch der Sprachgebrauch,
00:34:56: dass die gemeinsam auch zu mehr Wohlstand kommen sollten.
00:35:00: Montane Union und so weiter.
00:35:02: Besser Arbeitsbedingungen, all das.
00:35:04: Also das war schon auch immer
00:35:06: im Kerngedanken der Europäischen Union verankert.
00:35:10: Ich war nun gerade Geschäftsführende Arbeitsministerin
00:35:15: zu der Zeit, wo die Europäische Säule sozialer Rechte verabschiedet wurde.
00:35:20: Wo die Europäische Union sich schon sehr klar zu sozialen
00:35:27: Rechten einzelner bekannt hat.
00:35:32: Problem ist, die Europäische Säule sozialer Rechte hat
00:35:35: keine windende Wirkung, also keine direkten rechtlichen Auswirkungen.
00:35:40: Aber gerade die protogiesische Ratspräsidentschaft
00:35:43: versucht daran, was zu ändern.
00:35:46: Wir werden ja wahrscheinlich einen europäischen Mindestlohn bekommen.
00:35:49: Wir haben schon im Zuge der Pandemiebekämpfung
00:35:52: ein europäisches Kurzarbeitergeld bekommen.
00:35:55: Ich glaube, dass sich diese Entwicklung gar nicht mehr aufhalten muss.
00:35:59: Ein optimistischer Blick, dass dieses Europa
00:36:02: sozusagen sehr viel stärker sozial sein kann.
00:36:06: Und da setzt ja vielleicht auch diese Idee
00:36:09: einer europäischen arbeitslosen Rückversicherung ein,
00:36:12: die wir ganz am Ende bei unseren Dafür-Dagegen angesprochen haben.
00:36:16: Ein anderes Thema, was du immer wieder nach vorne bringst
00:36:22: mit einem kritischen Blick, ist diese Flüchtlingssituation.
00:36:26: Auch darüber haben wir in diesem Dafür-Dagegen gesprochen.
00:36:29: Wo du sagst, wo du sehr deutlich bist.
00:36:32: Kann ich trotzdem eine Arbeits- und Rückversicherung noch einsatz sagen,
00:36:35: weil mir das unbedingt ist.
00:36:37: Weil ich da ja eben nicht sofort mit dafür dagegen,
00:36:40: sondern erst mal mit einem anderen Begriff geantwortet habe.
00:36:42: Denn das ist ein weitverbreiteter Irrtum.
00:36:45: Und das ist auch ein Irrtum, den unsere politischen Mitbewerber*innen
00:36:49: auch gerne weiter nähern.
00:36:51: Was wir wollen, ist natürlich nicht eine riesige Behörde
00:36:55: oder eine riesige Kasse oder so,
00:36:57: aus der dann alle arbeitslosen Europas
00:37:01: ihre arbeitslosen Versicherung erhalten.
00:37:03: Sondern was wir wollen,
00:37:05: oder wir wollen vorbeugen,
00:37:08: dass noch mal so was passieren kann,
00:37:10: wie es in der Finanzkrise drohte,
00:37:12: nämlich dass einfach Staaten in die Knie gehen
00:37:15: und das dann so ein Dominoeffekt hat.
00:37:18: Und dafür soll ein Mechanismus geschaffen werden,
00:37:22: falls die nationalen arbeitslosen Versicherung nicht mehr schaffen.
00:37:26: Wenn du so eine massive Krisensituation hast,
00:37:29: kann das ja durchaus passieren.
00:37:31: Das ist dann eine Art Fonds oder so was gibt der Europäischen Union,
00:37:36: wo die erstmal ausgeholfen bekommen
00:37:38: und wo die erstmal darauf zugreifen können,
00:37:40: damit dieser Dominoeffekt eben nicht eintritt.
00:37:44: Und diejenigen sozusagen am Ende der Nahrungskette,
00:37:47: nämlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
00:37:49: die Zeche zahlen müssen.
00:37:51: Und das ist dann auch ein Aushelfen auf Leibbasis.
00:37:54: Also wenn es dem Staat dann wieder besser geht,
00:37:56: dann sollen diese Gelder auch wieder zurückfließen.
00:37:58: Also das war mir jetzt nur noch mal wichtig, das klarzustellen.
00:38:02: Ja, danke.
00:38:04: Es ist ein super wichtiger Punkt.
00:38:06: Wenn ich es richtig verstehe, steckt dahinter ja auch der Gedanke,
00:38:09: nicht nur sozusagen Menschen zu helfen,
00:38:11: sondern auch unterschiedliche Konjunkturzyklen auszugleichen,
00:38:14: die wir ja in einem gemeinsamen Währungsraum haben.
00:38:16: Wir haben eine gemeinsame Währung,
00:38:18: aber mit unterschiedlichen Konjunkturzyklen.
00:38:20: Und da können sozusagen dann die florierenden Länder,
00:38:24: den Ländern, helfen und unter die Arme greifen,
00:38:27: wo es gerade nicht so rund läuft und umgekehrt.
00:38:30: Ja, wobei wir natürlich bei so weltweiten Krisen
00:38:33: da schon die Gefahr besteht,
00:38:35: dass dann auch die gesamte europäische Ökonomie den Bach runtergeht.
00:38:38: Und die Gefahr hatten wir ja in der Finanzkrise sehr.
00:38:41: Ja, jetzt im Moment in der Pandemie ist es so,
00:38:46: dass die Staaten recht unterschiedlich durchkommen,
00:38:49: aber dass die Mechanismen, die wir anwenden,
00:38:51: eigentlich in den meisten Ländern schon ganz gut wirken.
00:38:54: In Deutschland haben wir natürlich die Möglichkeit,
00:38:56: auch noch aus unserem nationalen Haushalt,
00:38:59: echt viel reinzubuttern.
00:39:02: Hier gibt es ganz viel Unzufriedenheit,
00:39:04: auch der einen und der anderen,
00:39:06: dass es hier nicht genug ist und da zu kompliziert.
00:39:09: Und so aber, wenn man das vergleicht mit dem,
00:39:11: was in anderen Ländern passiert.
00:39:13: Also ich weiß es am besten eigentlich von den Niederlanden,
00:39:17: das ist ja auch ein sehr wohlhabendes Land,
00:39:20: aber wenn man sich da so anschaut, wie die Innenstädte aussehen,
00:39:23: da habe ich schon in Einung, dass deutlich mehr auch kleine
00:39:27: Einzelhändler in die Knie gehen,
00:39:29: als das bei uns der Fall ist.
00:39:31: In meinem kleinen Ort hier, ich bin jetzt nicht mehr in der Stadt hier,
00:39:34: sondern ein bisschen außerhalb,
00:39:36: haben wir noch einen sehr gesunden Einzelhandel
00:39:40: und da gibt es kein einziges Geschäft,
00:39:42: was jetzt deswegen zugemacht hat,
00:39:44: weil da natürlich auch viel Unterstützung gefasst ist.
00:39:47: Ja, das stellt sich in anderen Ländern nochmal ganz anders dar.
00:39:51: Lass uns noch auf dieses schwierige andere Thema zu sprechen kommen,
00:39:55: die die Lage von Geflüchteten an den EU-Grenzen.
00:39:59: Du hast dich ja sehr engagiert in diese Debatte eingebracht
00:40:03: und gesagt, diese europäische Flüchtlingspolitik ist eine Schande.
00:40:07: Wie kann man es anders regeln, wie kann man es besser regeln,
00:40:10: wie müsste man es regeln?
00:40:12: Ja, wieso oft beginnt das Problem schon bei den Zuständigkeiten.
00:40:17: Natürlich können wir auf europäischer Ebene Regelungen treffen,
00:40:22: aber wir brauchen eben die Mitgliedsstaaten,
00:40:27: die dann am Ende auch mitziehen, den Rat, der mitzieht.
00:40:31: Und daran scheitert es bisher.
00:40:34: Also das Parlament hat schon seit vielen Jahren eine klare Position,
00:40:37: die auch sehr humanitär ist, ohne dann bei naiv zu sein.
00:40:42: Und die Kommission hat ihren Ansatz,
00:40:45: die haben jetzt gerade den sogenannten "New Pact for Migration" vorgestellt,
00:40:49: der sich von der Grundposition des Parlaments schon ziemlich unterscheidet,
00:40:53: der deutlich stärker auf Abschottung und Rückführung gerichtet ist,
00:40:57: als das Parlament sich positioniert hat.
00:41:00: Das ist auch die grundsätzliche Gegenüberstellung, die wir so haben.
00:41:04: Also oft ist das Parlament deutlich progressiver als der erste Kommission.
00:41:09: Wer aber das Problem darstellt, ist der Rat,
00:41:13: also die Einrichtung, wo die Schatzen-Regierungschefinances vertreten sind,
00:41:18: weil wir einfach viel zu vieler haben, die mit dem Thema gar nichts anfangen wollen.
00:41:25: Wenn ich jetzt wohlwollend bin gegenüber denen, die da eher bremsen
00:41:31: und versuche, auch konstruktiv zu sein,
00:41:35: dann würde ich sagen Länder wie zum Beispiel Schweden,
00:41:39: die ja sehr viele Flüchtlinge aufgenommen haben, die jetzt auch vorsichtiger werden,
00:41:43: die wünschen sich eben, dass wir uns erstmal einigen auf Voraussetzungen,
00:41:49: auf Verfahren, wo wir wirklich am Ende sagen, wer darf denn wirklich kommen?
00:41:54: Wer darf bleiben? Was machen wir, wenn jemand nicht bleiben kann?
00:41:58: Das ist jedenfalls die Rückmeldung, die ich aus diesen Ländern bekomme.
00:42:02: Und die dann sagen, es macht erst Sinn, sich über eine Verteilung von Geflüchteten zu unterhalten.
00:42:08: Wer nimmt wie viele auf?
00:42:10: Wenn wir erstmal klar darüber sind, wer darf denn eigentlich kommen und wer darf bleiben?
00:42:16: Und da weist sich die Katze so ein bisschen in den Schwanz natürlich,
00:42:21: weil wir einfach helfen müssen ganz oft in Notfällen.
00:42:25: Und auch wenn die Diskussion hier in Deutschland sehr emotional ist,
00:42:29: was ich auch verstehen kann, muss ich doch sagen,
00:42:33: wenn es darum geht, diese Geflüchteten aufzunehmen, dann ist Deutschland immer, immer dabei,
00:42:38: das auch zu tun und meistens auch mit größeren Kontingenten als andere.
00:42:43: Es ist nahvollziehbar und total berechtigt,
00:42:50: dass wir über gemeinsame Standards reden.
00:42:53: Es gibt ja tatsächlich, du hast das angesprochen,
00:42:56: bei dieser emotional geführten Debatte in Deutschland ja die unterschiedlichsten Emotionen, die da auftauchen.
00:43:01: Es gibt diejenigen, die Sorge haben vor denen, die da kommen oder das zu viele kommen.
00:43:08: Und es gibt diejenigen, die das Elend nicht mit anschauen können und helfen wollen, unmittelbar helfen wollen.
00:43:15: Es gibt Vorstöße von Kommunen, um das Leid zu linden.
00:43:19: Warum ist das so schwierig? Wie kann man das erklären?
00:43:23: Tja, warum ist das so schwierig?
00:43:25: Also ich habe eben gesagt, es ist ein Teufelskreis.
00:43:28: Also ich glaube, es wäre alles sehr viel weniger schwierig,
00:43:31: wenn von Anfang an alle gemeinsam gesagt hätten, wir stemmen das jetzt auch gemeinsam.
00:43:37: Denn dann wären die Menschen, die Hilfe suchen, die Hilfe brauchen,
00:43:41: gut verteilt wurden in der ganzen Europäischen Union.
00:43:45: Wenn man die Zahlen nimmt, auf die jetzt sind wir nicht mehr 500 Millionen wie vor dem Brexit,
00:43:49: aber wir sind ja immer noch deutlich über 400 Millionen.
00:43:51: Wenn man die Relation sieht, dann ist das natürlich was, was wir hinbekommen können als Gesellschaften.
00:43:58: Und die Probleme entstehen meistens da, wo wir dann so eine Getuisierung haben,
00:44:08: wo viele Geflüchtete ohne eine Perspektive auf einen relativ kleinen Fleck leben für eine lange Zeit.
00:44:16: Also in der idealen Welt würde man die Menschen eben sehr stark verteilen.
00:44:27: Deswegen bin ich den Kommunen auszudankbar, die sich da bereit erklären.
00:44:31: Das sind ja unglaublich viele.
00:44:33: Und wenn man die mal zusammen nimmt, mittlerweile gibt es ja diese Sehbrücke-Bewegung auch in ganz Europa,
00:44:40: nicht mehr nur in Deutschland, dann würden wir die auch alle gut verteilt bekommen.
00:44:45: Aber die Kommunen dürfen das eben nicht selbst entscheiden, das ist das Problem.
00:44:49: Und viele Nationalstaaten sagen dann eben, wenn wir jetzt die alle aufnehmen,
00:44:54: dann kommen direkt die Nächsten und so weiter.
00:44:56: Und deswegen ist es eben tatsächlich wichtig, dass man sich darüber klar wird,
00:45:01: wie will man das generell angehen.
00:45:05: Also welche Kriterien will man anlegen für die, die kommen dürfen oder kommen.
00:45:11: Eine Asylantragsstellen kann ja erstmal praktisch jeder,
00:45:15: aber wie geht man damit um mit den Menschen, die auch wieder gehen müssen?
00:45:19: Ich glaube, das ist noch nicht so ehrlich.
00:45:21: Ja, keine leichten Entscheidungen.
00:45:27: Denn es ist interessant, in deinem letzten Beitrag hast du ja in gewisser Weise
00:45:31: eine Brücke geschlagen zu dieser Ungerechtigkeitserfahrung.
00:45:35: Du hast gesagt, also problematisch kann das werden, wenn viele Geflüchtete an einem Ort leben
00:45:40: und es da vielleicht auch Formen der Stigmatisierung gibt.
00:45:43: Wenn man sich irgendwo bewerben will und dann taucht dieser Straßenname auf,
00:45:47: der da deine Schulkameraden sozusagen ein bisschen geprägt hat.
00:45:52: Also du drehst ja die großen Räder.
00:45:55: Ja, du bist mit Staats- und Regierungschefs unterwegs, Vizepräsidentin des Europaparlaments.
00:46:00: Gibt es noch manchmal ein Denken an diese Schulkameraden?
00:46:03: Gibt es da Bezüge, die vielleicht dich auch motivieren in der Politik heute?
00:46:07: Also ich habe jetzt eine Begegnung rausgegriffen, aber es gibt natürlich auch die anderen.
00:46:12: Ich hatte auch eine türkische, sehr enge Freundin,
00:46:15: mit der ich jeden Tag zur Schule gegangen bin, mit ihren eigenen Erfahrungen.
00:46:19: Ich habe meine beste Freundin an Studienzeiten, ist schwerstbehindert im Rollstuhl.
00:46:24: Mit der habe ich dann meine eigenen Erfahrungen.
00:46:27: Also das ist jetzt, ich glaube, wenn man an dem Partyscher Mensch ist,
00:46:31: dann nimmt man das mit, diese Erfahrung.
00:46:35: Und das bringt einen dann, glaube ich, auch zwangsläufig zur Sozialdemokratie.
00:46:39: Weil diese Idee, dass du eben unabhängig davon, was du so mitbekommen hast,
00:46:45: wofür du ja auch nichts kannst.
00:46:47: Also du kannst weder was für deine Hautfarbe noch,
00:46:51: für deine Behinderung noch, für den Geldbottel deiner Eltern was.
00:46:57: Also dass du davon unabhängig Chancen haben sollst.
00:47:02: Und zwar möglichst die gleichen.
00:47:04: Und dass es nach deinem Charakter und nach deinem guten Willen
00:47:08: und nach deinem Verhalten gehen soll.
00:47:10: Und eben nicht nach diesen Sachen, für die du nichts kannst.
00:47:15: Und das prägt mich einfach unglaublich.
00:47:18: Und das macht mich auch manchmal total wütend.
00:47:20: Wenn dann irgendwie die FDP da was von Leistung muss sich lohnen labert.
00:47:27: Und gleichzeitig, ich meine, wenn du erbst,
00:47:30: wenn du einfach reiche Eltern hast, was hat denn das mit Leistung zu tun?
00:47:35: Und das muss doch jeder sehen.
00:47:37: Es gibt ja auch sehr vermögende Menschen wie zum Beispiel der,
00:47:40: ich glaube, der DM Gründer und Inhaber, der, glaube ich, sogar gesagt hat,
00:47:44: sollte es eigentlich gar nicht geben, weil das widerspricht total den Leistungsgedanken.
00:47:51: Ich finde, wenn man einigermaßen empfindsamtlich leben geht,
00:47:54: dann kann man eigentlich nur am Ende bei der Soziolimokratie landen
00:47:57: und das muss am Platz zu formulieren.
00:47:59: Herzlichen Dank für das sehr klare und leidenschaftliche Statement, Katharina.
00:48:04: Uns geht es ja darum, ein bisschen zu hören, warum sich Menschen engagieren
00:48:08: an dem Ort, an dem sie sich engagieren.
00:48:11: Und das ist nochmal sehr deutlich geworden,
00:48:13: weil wenn man quasi mit wachen Augen durch die Gesellschaft geht,
00:48:16: wenn man guckt, wo Ungerechtigkeiten sind,
00:48:18: landet man bei der Sozialdemokratie.
00:48:22: Darf ich da noch einzeln zufügen?
00:48:24: Weil manchmal kriegt man ja dann voll behalten.
00:48:26: Also ich bin jetzt weiß, heterosexuell, rühre keiner religiösen Minderheit an,
00:48:34: komme wie gesagt aus einem finanziell durchschnittlichen Elternhaus
00:48:38: und habe mir jetzt meinen eigenen kleinen Wohlstand erarbeitet.
00:48:41: Also ich bin jetzt in, glaube ich, würde mir jetzt keine Hinsicht einfallen,
00:48:45: außer dass ich mal eine Zeit lang alleine erziehen war,
00:48:48: wo ich jetzt eine besonders benachteiligten Gruppe angehört hätte.
00:48:52: Und das wird einem dann ja manchmal so vorgehalten.
00:48:55: Und das kann ich nicht verstehen.
00:48:57: Das muss ich ganz ehrlich sagen, weil ich finde, gerade, dass du dich einsetzt,
00:49:02: eben nicht nur für das, was du selbst bist.
00:49:05: Also klar, wir brauchen viel mehr Menschen,
00:49:10: die auch selber Minderheiten angehören,
00:49:13: nicht dass ich da jetzt falsch verstanden werde.
00:49:15: Aber ich finde, das ist auch, es ist so wichtig,
00:49:18: gerade als Feministin sage ich das,
00:49:20: wir kriegen auch Gender-Gerechtigkeit nicht nur als Frau hin.
00:49:24: Wir brauchen die Männer, die da mitmachen.
00:49:26: Und genauso brauchen eben Menschen mit Behinderung auch nicht finderte Menschen,
00:49:30: die sich für diese Gruppe einsetzen.
00:49:34: Und wir brauchen heterosexuelle Menschen,
00:49:38: die sich für die LGBTI-Community einsetzen.
00:49:40: Und ich finde, das sollte man,
00:49:43: das sollte viel selbstverständlicher werden,
00:49:45: dass es nicht darum geht, ich mache das,
00:49:48: weil ich selbst lesbisch arm eine Regelung habe,
00:49:53: oder was auch immer, sondern ich mache das,
00:49:55: weil eine gesellschaft, gerechte Gesellschaft einfach unglaublich wichtig ist für uns alle.
00:50:01: Ja, und da steckt ja auch ein wichtiger Grundgedanke
00:50:05: von Sozialdemokratie, so wie ich sie verstehe,
00:50:07: der andere, die andere, ist mir nicht egal.
00:50:10: Es geht nicht darum, dass es mir gut geht,
00:50:12: und es geht auch nicht nur darum, für meine Interessen zu kämpfen,
00:50:15: weil ich jetzt von irgendwas gerade betroffen bin,
00:50:17: sondern ich interessiere mich auch für andere in der Gesellschaft,
00:50:20: nehme die wahr und will mich auch für die engagieren.
00:50:23: Genau, und wenn man sich jetzt die Geschichte der SPD nochmal vor Augen führt,
00:50:27: als Gründervater wird ja immer Fernet Laisal genannt,
00:50:30: der selber ja nun alles andere als ein Arbeiter war.
00:50:35: Auch eine schillernde Figur will ich jetzt gar nicht weiter drauf eingehen,
00:50:39: aber ein Arbeiter war ja ganz bestimmt nicht.
00:50:41: Und das ist der Punkt, also das eine ist,
00:50:44: eine gerechte Gesellschaft hilft einfach allen,
00:50:47: ich finde es ist auch viel angenehmer, in einer gerechten Gesellschaft zu leben.
00:50:50: Ich bezahle auch gerne meine Steuern dafür.
00:50:53: Und das zweite ist, wenn man es dann doch nicht ganz so altruistisch haben will,
00:50:58: es kann immer ganz schnell passieren, dass ich selber auch in der Minderheit lande.
00:51:02: Also das Beispiel Behinderung, die allermeisten Behinderungen sind nicht angeboren,
00:51:07: sondern die bekommt man durch Krankheiten und Fälle, was auch immer,
00:51:11: das kann dir ganz schnell passieren, dass du selbst in Mensch mit Behinderung bist.
00:51:14: Oder dass du dich verliebst in jemanden mit einer anderen Hautfarbe,
00:51:19: oder dass du durch ein Schicksalsschlag auch sehr, sehr arm werden kannst.
00:51:23: Das kann ja passieren.
00:51:25: Und dann bist du auch froh, wenn jemand anders für dich einsteht.
00:51:30: Gibt da den schönen Begriff der Solidargemeinschaft.
00:51:33: Man steht nicht alleine davor, den Wechselfällen des Lebens.
00:51:36: Das ist vielleicht ein alter Begriff aus der Sozialdemokratie,
00:51:39: aber trotzdem aktueller in mir scheint.
00:51:42: Also Solidarität habe ich das Gefühl, hat wieder Konjunktur.
00:51:46: Das ist ja einer unserer Grundwerte auf unseren ganz uralten 100-Wilfe-Alte.
00:51:52: Wie alt jetzt inzwischen? 155?
00:51:57: Ich habe den Überblick verloren, Jahre alten fahren drauf.
00:52:01: Aber gerade in Zeiten jetzt wieder Pandemie.
00:52:04: Da merkt man auch wieder, wie schön das ist.
00:52:07: Gerade in der Anfangsphase, wo du gerade in den kleinen Dörfern
00:52:12: irgendwo Zettel hängen hattest, wer Behilfe braucht beim Einkaufen,
00:52:17: kann mich anrufen.
00:52:19: Wie man dann doch mal nach der alten Dame in der Nachbarschaft geschaut hat,
00:52:23: die alleine lebt und mal gefragt hat, ob sie was braucht.
00:52:27: Bei mir, ich fange wieder mit Briefschreiben an.
00:52:30: Also habe ich auch jetzt seitens nicht mehr gemacht.
00:52:33: Aber einfach mal auch Menschen, gerade so den älteren von Wanten
00:52:36: oder auch in der Partei einfach mal einen Briefschreiben.
00:52:40: Ich finde, dass gerade diese Krisenzeiten auch in der Zeit sein können,
00:52:46: dass die Solidarität wieder stärker gelebt wird.
00:52:50: Ich zeige ja auf jeden Fall, dass Solidarität irgendwie da ist
00:52:54: und dass die scheinbar vielen Menschen zu eigen ist.
00:52:57: Und das ist ja, finde ich, erstaunlich, weil wir ja aus 2, 3,
00:53:01: Jahrzehnten kommen, in denen die Leitidehne ganz andere waren.
00:53:05: Wir hatten ja die Vorstellung davon, dass wir alle im Wettbewerb
00:53:07: zueinander stehen müssen, dass wir nicht nur eine Wettbewerbswirtschaft
00:53:11: haben, sondern auch eine Wettbewerbsgesellschaft,
00:53:13: wo jeder quasi versucht, sich mit den Ellenbogen irgendwie nach vorne zu drängeln.
00:53:17: Und trotzdem gibt es diese Solidarität, so wie du sie beschrieben hast.
00:53:21: Ja, ich weiß auch nicht, ob dieses Bild so generell stimmt.
00:53:26: Also Menschen sind doch sehr, sehr unterschiedlich.
00:53:28: Und ich glaube, es gibt ganz viele Menschen, die das nicht mitgemacht haben
00:53:32: oder wenn sie es mitgemacht haben, sehr darunter mitgenommen haben
00:53:35: und sich dessen auch bewusst waren, dass das nicht gut ist.
00:53:38: Ja, wir müssen uns da auch immer wieder selber entscheiden
00:53:43: und selber nachhandeln.
00:53:44: Das ist mir schon sehr, sehr wichtig.
00:53:46: Natürlich haben wir so eine Zeitgeist, aber dem sind wir ja nicht zwangsläufig unterworfen.
00:53:55: Und bei mir hat diese Pandemie auch ganz viele Überlegungsprozesse ausgelöst
00:54:03: und ich weiß, dass das bei vielen Menschen der Fall ist.
00:54:05: Also ich glaube, fast jeder und jede von uns hat die eigene Wohnung ausgemistet in der Zeit.
00:54:13: Und mir ist es jedenfalls so gegangen, dass ich auch,
00:54:17: was ich eigentlich seit 50 Jahren fast immer schon mal vor hatte,
00:54:22: aber mir immer auch mal jetzt häufiger die Frage stelle, was brauche ich eigentlich?
00:54:27: Und was reicht mir eigentlich?
00:54:32: Also ich war immer so ein Mensch, der sich schwer von Sachen getrennt hat.
00:54:36: Also das T-Shirt, was ich jetzt anhabe, ich finde das auch ganz gut,
00:54:39: gerade bei Klamotten nicht jedes Jahr was Neues kaufen,
00:54:41: sondern das, was man braucht länger bei rein.
00:54:43: Das habe ich heute Morgen bei meinem Mann gesagt,
00:54:45: das habe ich seit fast 30 Jahren.
00:54:47: Und das sieht man eben nicht an, ist eine gute Qualität.
00:54:50: Also dieses, schon allein mal den Klamotten,
00:54:53: dass man sich den so unterwirft, was in diesem Jahr ein Must-Have ist,
00:54:59: ist im nächsten Jahr ein No-Go.
00:55:01: Allein schon diese Begriffe.
00:55:03: Das betrifft jetzt Frauen mehr als Männer,
00:55:05: aber ich habe mich dem nie unterworfen,
00:55:07: ich habe immer lieber ein bisschen mehr Geld ausgegeben
00:55:09: und das dann aber auch lange getragen.
00:55:11: Aber auch andere Dinge, ich meine so ein ganzes Schnickschnack,
00:55:15: den man uns immer so aufschwratzen will
00:55:17: und immer noch ein neues Handy und noch ein schickeres Auto und so Himmel.
00:55:24: Mein Auto ist, glaube ich, jetzt 12 Jahre alt,
00:55:27: und ich habe noch eine Elftung,
00:55:29: das ist ein 180.000 Kilometer und das ist ganz nicht gut.
00:55:32: Also ich glaube, dass wir in dieser Krise auch zurückgebrochen werden,
00:55:37: darauf, was wirklich wichtig ist.
00:55:39: Wir stellen alle fest, das Wichtigste sind menschliche Begegnungen,
00:55:42: ist Zuwendung, ist eine liebevolle Umgebung, Familie, Freunde.
00:55:50: Das ist das, was ich vorwas eigentlich anrufe.
00:55:54: Karina, ich würde sagen, wir lassen das so stehen.
00:55:56: Das ist ein wunderbares Schlusswort, finde ich.
00:55:58: Es ist keine naive Hoffnung, dass die Krise alles besser macht,
00:56:01: aber die Krise zeigt, was wirklich wichtig ist.
00:56:03: Und das sind menschliche Begegnungen,
00:56:05: du hast über Gerechtigkeit und Solidarität gesprochen,
00:56:08: das Gefühl, dass wir einander verbunden sind.
00:56:11: Ich finde, es ist sehr, sehr deutlich geworden,
00:56:14: was dich da antreibt, was dich motiviert
00:56:16: und was dich zu so einer engagierten Person macht.
00:56:20: Herzlichen Dank für die Offenheit und für den Austausch
00:56:23: und für das Teilen aller Gedanken und Erfahrungen.
00:56:26: Sehr, sehr gerne. Es hat mir viel Freude gemacht.
00:56:29: Und das Schöne ist ja, ich weiß, dass es so viele Menschen um mich rum gibt,
00:56:33: deswegen ist es auch schön, in dieser Partei zu sein,
00:56:36: weil da so viele Menschen sind, die das genauso sehen.
00:56:38: Das macht es ja wie eine zweite Familie eigentlich.
00:56:41: Die Zeit, die wir mit Genossinnen und Genossen verbringen,
00:56:47: ist der Zeichweise fast genauso viel,
00:56:50: wie wir mit Familienmitgliedern verbringen.
00:56:53: Mindestens, genau.
00:56:56: Herzlichen Dank für den offenen Austausch
00:56:59: und wir schließen wir danken sozusagen allen fürs Zuhören
00:57:04: und freuen uns auf den nächsten Austausch.
00:57:07: Danke dir, wir wünschen dir persönlich, beruflich, alles, alles Gute.
00:57:10: Du bist eben aus dem Garten gekommen.
00:57:13: Ich hoffe, das Wetter ist noch weiter gut
00:57:15: und du kannst da weiter gute Dinge tun im Garten.
00:57:18: Mach ich, versuch euch, wenn ich Zeit habe. Euch auch alles Gute.
00:57:22: Danke schön.
00:57:24: [Musik]
00:57:27:
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