Perspektiven aus Russland und der Ukraine | 07 Zukunft gerecht Talk
Shownotes
Mira – die Friedliche – so lautet der hoffnungsvolle Name des auf der Flucht geborenen Kindes einer ukrainischen FES-Mitarbeiterin. Marcel Röthig, Leiter unseres Auslandsbüros in Kiew erzählt diese und andere ergreifende Erlebnisse, die sich unmittelbar nach Kriegsausbruch und der Büro-Evakuierung vor Ort abspielten. Sein Pendant aus Moskau, Peer Teschendorf, ergänzt die Eindrücke aus russischer Sicht und beschreibt, dass seither eine Art surrealer Filter über dem alltäglichen Leben zu liegen scheint. Neben individuellen Schicksalen richten wir den Blick auch auf die gesellschaftliche und politische Ebene. Im gemeinsamen Gespräch erfährt Christian Krell aus erster Hand, wie die aktuelle Lage in den jeweiligen Ländern ist, wie eine "Roadmap" zu möglichen Friedensszenarien und die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Ukraine und Russland zukünftig aussehen könnten.
Gäste: Peer Teschendorf (FES Moskau), Marcel Röthig (FES Kiew); Moderation: Christian Krell
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00:00:00: Ja, herzlich willkommen. Ich will Sie und Euch herzlich begrüßen zu einer weiteren Sonderfolge
00:00:10: unserer Podcastreihe "Zukunft gerecht", eine weitere Sonderfolge zum Krieg in der Ukraine.
00:00:15: Mein Name ist Christian Krell, ich bin Politikwissenschaftler und ich freue mich sehr,
00:00:19: diesen Podcast für die Friedrich-Ebert-Stiftung moderieren zu dürfen. Und Kennerinnen und
00:00:24: Kenner unseres Formats, die wissen, dass wir hier den Anspruch haben, wie unter Freunden zu
00:00:29: diskutieren. Also offen, ehrlich, vielleicht manchmal auch kritisch, aber immer einander zugewandt.
00:00:35: Und dieses Unterfreundenreden, das hat für mich persönlich eine ganz besondere Bedeutung heute.
00:00:41: Ich habe hier lange Zeit für die Friedrich-Ebert-Stiftung arbeiten dürfen und den Kreis der
00:00:46: Kolleginnen und Kollegen in der Ebert-Stiftung habe ich immer als erweiterten Freundeskreis
00:00:51: begriffen. Das sind ganz viele engagierte, tolle Menschen, die an allen möglichen Orten der Welt
00:00:57: sich engagieren, tatsächlich für eine gerechtere Zukunft. Und in diesem Sinne freue ich mich
00:01:02: sehr, heute Unterfreunden mit zwei ganz besonderen Ex-Kollegen zu sprechen, mit Marcel Rötig,
00:01:07: dem Leiter des FSS-Büros in Kiev und mit Per Teschendorf, dem Leiter des FSS-Büros in
00:01:13: Moskau für die Russische Föderation. Herzlich willkommen. Guten Morgen. Hallo. Echt grüß euch.
00:01:18: Schön, dass ihr dabei seid. Schön, dass ihr in diesen mehr als bewegten Tagen Zeit gefunden habt.
00:01:23: Wir wollen über die aktuelle Situation reden und wir haben uns vorgenommen, das ungefähr in drei
00:01:29: Schritten zu tun. Wir wollen zunächst kurz innehalten und einen Rückblick wagen. Was ist da eigentlich
00:01:34: passiert in den vergangenen Wochen und Monaten? Wie habt ihr persönlich das erlebt, jeweils aus
00:01:41: eurer individuellen Perspektive? Und zweitens wollen wir auch darauf schauen, wie gestaltet sich eure
00:01:46: Arbeit aktuell? Wie hat sie sich verändert unter dem Eindruck der Ereignisse? Was ist möglich für
00:01:53: die jeweiligen Büros? Und schließlich drittens die große Frage, wie kann es weitergehen? Was
00:01:59: können nächste Schritte sein, vielleicht zu einem Waffenstillstand, vielleicht sogar zu einer
00:02:04: einigermaßen stabilen Friedensordnung? Das werden die Fragen sein, die wir versuchen,
00:02:09: in den Blick zu nehmen. Aber wir wollen euch vorher natürlich noch mal etwas genauer kennenlernen.
00:02:15: Vielleicht möcht ihr uns noch mal kurz erzählen, wann ihr in die Stiftung gekommen seid und ihr habt
00:02:20: ja beide schon eine Reihe von Stationen hinter euch. Was da Stationen waren? Vielleicht per magst
00:02:26: du anfangen, wann bist du dazugekommen und was hat sich seitdem ereigt? Ja, danke dir. Dazugekommen
00:02:32: bin ich vor fast auf den Tag genau 15 Jahren bei der E-Wert-Stiftung und zwar als seconder
00:02:38: Projekt-Assistent in Moskau tatsächlich. Also Anfang und hoffentlich Ende in Moskau. Von dort
00:02:44: ist es mich nach ins westliche Afrika verschlangen, zumindest von Berlin aus. Und dann habe ich aber
00:02:49: sagen Osteuropa weitergemacht, bin in Zentralien gewesen, habe da zeitweilig alle fünf Büros,
00:02:54: die wir dort haben, geleitet, aber hauptsächlich Kazakhstan aus Bekistan. Dann zurück mit Zentrale,
00:02:59: um mich Ukraine, Belarus und Russland zu widmen als Referent. Und 2018 ging es dann als Büroleiter
00:03:06: raus nach Moskau. Also wir können dir gratulieren zum 15-jährigen Dienstjubiläum, wie es scheint,
00:03:11: in diesem Jahr und eine ganz beeindruckende Karriere in der Stiftung mit einem Fokus auf Osteuropa.
00:03:17: Marcel, wie sieht es bei dir aus? Wann bist du eingestiegen bei der Stiftung und was waren
00:03:22: da wichtige Stationen? Bin seit 2003 in der Stiftung, war zunächst trainee ein Jahr und bin
00:03:28: dann als Projekt-Assistent nach Moskau gegangen. Was auch ganz gut passte, weil Osteuropa auch bei
00:03:33: mir die Herz und Nierengegend immer war. Ja, Moskau, eine lehrreiche Zeit und nach Moskau ging es dann
00:03:39: nach Kiew, wo ich seit seit ja seit knapp sechs Jahren bin. Und in Kiew bin ich für die Ukraine
00:03:45: zuständig, aber auch für die Republik Moldau. Ich war eine Zeit lang auch für Belarus zuständig,
00:03:50: bis wir da einen Wechsel hatten und habe mich auch um ein Regionalprojekt gekümmert. Dialog Osteuropa,
00:03:54: was im Rahmen der östlichen Partnerschaft und Russland arbeitet. Also habe es geschafft,
00:03:59: trotz Kiew ganz gut auch in die Nachbarschaft zu gucken und mich mit allem runter um mal zu beschäftigen.
00:04:04: Beeindruckende Berufslaufbahn, was ich faszinierend finde und was für diese Folge natürlich besonders
00:04:10: wertvoll ist, dass ihr ja beide nicht nur berufliche Stationen in Osteuropa hattet und habt, sondern
00:04:16: dass ihr da tatsächlich auch eine persönliche Leidenschaft, eine persönliche Neigung habt,
00:04:20: euch mit diesen Regionen ganz intensiv auseinanderzusetzen. Lass uns ein bisschen darauf schauen,
00:04:26: was in den vergangenen Wochen passiert ist. Das ist ja eine Situation. Marcel, du hast gesprochen
00:04:30: davon, dass du seit sechs Jahren in der Ukraine bist. Das ist ja eine Situation, die seit langem sich
00:04:38: dramatisch entwickelt hat. Wir haben die Krimbesetzung, wir haben dann einen offenen Konflikt im Osten der
00:04:44: Ukraine. Man hatte schon so ein bisschen den Eindruck, man gewöhnt sich irgendwie an unterschiedlicher
00:04:48: Eskalationsgrade. Wann war für dich persönlich der Eindruck gekommen, dass das eskaliert?
00:04:55: Es kommt hier zu einem bewaffneten Konflikt. Die Angst war eigentlich immer da. Sie war da,
00:04:59: weil für die Ukraine der Krieg nicht am 24. Februar 2022 begonnen hat, sondern schon vor Jahren
00:05:05: mit der Annexion der Krim und dem versteckten Krieg Russlands im Donbass. Wir hatten dann
00:05:11: eine 470 Kilometer lange Kontaktlinie. Das muss man sich so vorstellen, vielleicht mit den Schlachtfüllern
00:05:16: Europas im Ersten Weltkrieg. Also beide Seiten, die sich eingegraben haben, nicht Großland gewonnen
00:05:21: haben, aber es immer mal wieder zu Gefechten gab. Also dieser Waffenstillstand war eigentlich immer
00:05:25: mehr brüchig als alles andere. Und es gab manchmal täglich Tote und Verwundete während der ganzen
00:05:30: Zeit. Und meine schlimmste Angst war immer diejenige, dass irgendwann der politische Prozess des
00:05:36: Minska abkommt, das nochmal nie format derartig zum Erliegen kommen, dass Russland die Geduld verliert
00:05:40: und sagt, wir erkennen die Gebiete jetzt als unabhängige Staaten an, schicken unsere Truppen
00:05:45: auch ganz offen rein und nicht mehr nur versteckt und schaffen somit Fakten, wie sie das 2008 in
00:05:50: Georgien mit Südorsetien und Abrasien gemacht haben. Die vollumfängliche Invasion, also der Einmarsch
00:05:55: von allen Seiten, das war immer so ein etwas, wo man sagt, das ist so verrückt, das machen die nicht,
00:05:59: das trauen die sich nicht. Und sie wissen ja auch ganz genau, dass sie das nicht gewinnen können oder
00:06:03: nur mit großen Verlusten machen können. Und die Reaktion des Westens wird so stark sein, dass es
00:06:08: sie davon abhält, da auch nur darüber nachzudenken. Und angefeuert wurde das Gefühl nochmal von der
00:06:12: KIA-Verführung, die eigentlich in den letzten Monaten immer wieder gesagt hat, wenn die schlechten
00:06:17: Nachrichten aus Washington kamen, meistens über die Tagespresse. Das sehen wir auch so, aber wir
00:06:21: kommen zu anderen Ergebnissen, wir kommen zu anderen Schlüssen. Das hat uns eigentlich in so einem
00:06:24: Gefühl von falscher Sicherheit gewogen. Wir haben ganz normal in unserem alltaren KIA weiter
00:06:28: nachgegangen. Kinder gehen in den Kindergarten, im Büro finden die Besprechungen statt. Größte
00:06:33: Sorge war die Omicron-Welle. Und das war unser Leben im Januar in der Ukraine. Dann wurde die Lage
00:06:39: immer bedenklicher. Die Amerikaner haben die Reisewarnung ausgegeben, haben gesagt, alle Amerikaner
00:06:43: in Amerikaner sollen das Land verlassen. Ich erinnere mich noch, ich saß Anfang Februar mit
00:06:47: einem Freund in der Kneipe und am Hintertisch waren Amerikaner. Und wie das so ist, man macht sich ja
00:06:52: manchmal lustig, weil die so laut gesprochen haben. Dann sagten mir meinen Kumpel, was, die sind noch
00:06:56: hier? Und wir haben noch darüber gewitzelt und haben uns nicht vorstellen können, dass wir gemeinsam
00:07:01: dann wenige Wochen später im Flieger sitzen. Es war mit der letzte Lufthansa-Flieger, der rausgeflogen
00:07:05: ist. Wir haben, als die Amerikaner dann die Reisewarnung verschärft haben, gesagt haben, die Inversion ist
00:07:11: nur eine Frage von wenigen Tagen und dann auch das deutsche auswertige Amt nachgerückt ist. Da haben
00:07:15: wir angefangen hektisch zu packen. Ich erinnere mich aber auch noch Ansitzungen in der deutschen
00:07:19: Botschaft, wo gesagt wurde, nee, nee, die Russen spielen nur Hardball, macht euch keine Sorgen,
00:07:22: da passiert nichts. Und dann packt man die Sachen und denkt sich, naja gut, vielleicht gibt es einen
00:07:28: Cyberangriff und der Strom fällt länger aus oder es gibt kein Internet mehr oder die Banken funktionieren
00:07:33: nicht. Irgendwelche Gemeinheiten, schlimmstenfalls die Eskalation um Donnerwas. Na ja, wir fahren
00:07:37: dann erst mal für ein paar Tage nach Deutschland. Ich wollte dann auch wieder zurück, ursprünglich.
00:07:41: Und dann standen wir am Flughafen und meine Frau, meine Frau ist Ukainerin, muss man dazu sagen,
00:07:46: sagte zu mir, weißt du was, so ziemlich genau die gleiche Zeit vor 80 Jahren ist meine Urgroßmutter
00:07:52: mit meiner Großmutter und ihrer Schwester aus St. Petersburg ausgebrochen über das zugefrorene
00:07:57: Eis. Und ich blieb jetzt mit meinen Kindern aus Kiew raus und dann habe ich noch gedacht,
00:08:02: der Vergleich ist ganz schön verrückt. Und wenn wir dann die Bilder später gesehen haben,
00:08:07: die Bilder der Zerstörung, dann führt uns das wieder in Erinnerung, dass sich scheinbar Geschichte
00:08:11: dann doch wieder wiederholt hat. Ja, etwas, was ja eine Generation, wir sind ja ungefähr gleich alt,
00:08:17: wenn ich das sagen darf, wie wir zumindest in Europa nicht erlebt haben, zum Glück im Herzen
00:08:22: Europas zumindest und womit wir nicht gerechnet haben. Wie habt ihr dann gemeinsam auch als Familie
00:08:29: die nächsten Tage und Wochen erlebt? Als der Angriff stattfand, war ich in Kishinau, in der
00:08:33: Republik Moldau, also meinem zweiten Dienstsitz. Und ich bin schon abends mit einem unguten Gefühl
00:08:38: ins Bett gegangen, weil spät abends die Nachricht kam, dass Russland den grenznahen
00:08:43: zivilen Flugverkehr unterbunden hat und dann auch später die Ukraine ihren Luftraum geschlossen
00:08:48: haben. Da hatte ich schon ein schlechtes Gefühl. Dann um kurz nach fünf am Morgen kamen dann die
00:08:53: Nachrichten meiner Kolleginnen und Kollegen aus Kiew, die von Raketen einschlägen berichteten
00:08:56: von tiefliegenden Flugzeugen. Und keine fünf Minuten später stand ich auch neben dem Bett,
00:09:02: weil die dumpfen Einschläge aus Odessa über die klare Nacht 140 km sehr deutlich zu hören
00:09:08: waren und dann wusste man, jetzt ist man in der anderen Realität. Dann überschlagen sich auch
00:09:14: so ein bisschen die Ereignisse. Kishinau hat man dann sehr schnell auch den Luftraum geschlossen,
00:09:18: weil das alles so nah beieinander hängt und weil auch Transnistrien ja auch so ein Teil ist, wo
00:09:22: russische Truppen sind und man nicht wusste, sind die da jetzt involviert oder nicht. Heute wissen
00:09:26: wir, sie sind nicht involviert. Es gab auch Berichte, dass ukrainische und russische Kampfflugzeuge da
00:09:31: während der Gefecht in den Moldauischen Luftraum eingedrungen sind und dann wusste man nicht,
00:09:34: die Angst in der Moldau ist ganz klar, dass man damit reingezogen wird. Die Parallelen sind
00:09:38: ja auch offenkundig. Pro europäische Präsidentin, ne pro europäische Regierung. Russische Friedenstruppen
00:09:44: im Land, die keiner bestellt hat, ein abtrünniger Landesteil. Klar, da war die Angst dann auch da
00:09:48: und ich bin dann über Land über Rumänien zurück nach Deutschland gekommen und bin dann hier.
00:09:54: Unsere Kinder sind drei und fünf Jahre alt und mein Sohn, der ist fünf, der sagte, er will wieder
00:09:58: nach Kiev in den Kindergarten und seine dreijährige Schwester sagt, nee, Alexander, wir bleiben
00:10:03: jetzt erstmal hier in Kiev, sind die Soldaten, der ist gefährlich. Natürlich, wenn wir Verwandte
00:10:07: dort haben, dann geht ständig der Blick aufs Handy, dann wird geschrieben, dann wird telefoniert.
00:10:12: Du bringst auch mit den Verwandten in Russland. Was ist da los? Was passiert? Was könnt ihr machen?
00:10:17: Wie können wir euch helfen? Alle tun, was sie tun können auch. Sei es nun in Kiev, dass die Leute
00:10:23: beispielsweise unsere Nenny kocht für die Soldaten. Das ist so ihre Art zu helfen. Meine Frau
00:10:28: übersetzt den ganzen Tag irgendwelche Dokumente für die internationale Gemeinschaft, damit
00:10:32: Nachrichten aus der Ukraine rauskommen. Da haben sich die Dolmetscherinnen und Dolmetscher
00:10:36: zusammen geschlossen und ja, wir hoffen natürlich, jetzt sind wir hier. Die Kinder gehen jetzt mal in
00:10:41: den deutschen Kindergarten, wo ich schon war, hab ich auch nie gedacht. Was mich frohen Mutes macht,
00:10:45: ist, dass der Vorstand der Ebert Stiftung beschlossen hat diese Woche, dass die Stiftung
00:10:49: nach Kiev zurückkehrt, sobald das möglich wird. Und das ist auch das, woran wir uns festklammern.
00:10:54: Es wird viel zu tun geben in der Ukraine danach und das wir uns dann auch alle wiedersehen. Und
00:10:59: man muss ja bedenken, wir haben ja auch 20 Kolleginnen und Kollegen, die das ganze Kaleidoskop
00:11:04: an Schicksalen der Ukraine erlebt haben, unterschiedlicher Art und Weise und immer noch erleben
00:11:09: in diesen Minuten. Also ein klares Statement der Führung der Friedrich-Ebert Stiftung, sobald es
00:11:14: geht, wieder tätig zu werden vor Ort, lass uns nochmal kurz auf die Kolleginnen und Kollegen
00:11:20: schauen. Man muss das vielleicht nochmal erklären, die Büros der Friedrich-Ebert Stiftung sind
00:11:23: in der Regel so organisiert. Etwas über 100 Standorten in der Welt, das ist da ein oder mehrere
00:11:29: Entsante Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Deutschland gibt, aber auch Ortskräfte, die aus
00:11:36: den Ländern, aus den Regionen kommen, dort quasi die Kontinuität der Arbeit leisten und nach meiner
00:11:41: Erfahrung eigentlich die wichtigste Säule da sind. Du sagst 20 Kolleginnen und Kollegen,
00:11:45: habt ihr, wie geht es den Kolleginnen und Kollegen? Ja, es sind viele dabei, die schon lange, lange
00:11:50: für die Friedrich-Ebert Stiftung arbeiten und die Ukraine schon in all ihren Aspekten erlebt haben
00:11:55: und in allen Abschnitten. Wir haben ja drei Revolutionen miterlebt in diesem Land und den Krieg.
00:11:59: Die Geschichten sind sehr unterschiedlich. Sie gehen uns alle auch sehr, sehr nah. Wir haben
00:12:04: Kolleginnen gehabt, die mehrere Tage auf der Flucht waren, die dann nach drei bis vier Tagen völlig
00:12:09: entkräftet in der Slowakei, in Ungarnen, Polen angekommen sind, mit neu geborenen Autos, mit ihren
00:12:14: Eltern teilweise. Wir haben aber auch diejenigen, die nicht fliehen konnten oder wollten. Männer
00:12:20: im wehrfähigen Alter werden nicht rausgelassen, was dann dazu führt, dass alle Kolleginnen eigentlich
00:12:24: in der Ukraine bleiben müssen. Es sei denn, es gibt eine trifftige Ausnahmegrund, das ist aber
00:12:28: schwer so ein Grund zu finden und Kolleginnen, die eher Männer haben, die sie nicht zurücklassen
00:12:33: wollen oder Kinder, die ihre Pappas nicht in der Ukraine lassen wollen und dann die Familienentscheidung
00:12:38: treffen, wir trennen uns nicht, wir bleiben hier. Und da können wir nicht viel machen, denn selbst auf
00:12:41: den diplomatischen Kanälen kann man dann nicht auf die Ukraine einwirken. Alle Männer haben zu
00:12:45: bleiben und die legen das sehr robust aus. Das heißt eben, dass nur sechs bislang draußen sind
00:12:49: und alle anderen sind noch da und werden auch erst mal nicht kommen. Es sei denn, es ändert sich
00:12:53: was daran, dass auch Männer ausreisen können. Und die erleben Geschichten, dass sie entweder,
00:12:58: wenn sie Glück haben, haben sie eine Dacia, also so ein Landhaus und ziehen sich da erst mal zurück.
00:13:02: Es gibt aber auch diejenigen, die die Nächte in Kiew in irgendwelchen Kellern verbracht haben
00:13:07: und dann erst viel später ausgereist sind, besonders ergreifend eine Geschichte einer
00:13:11: Kollegin, die jetzt der Krieg begannen, im neunten Monat schwanger waren, lange in Kiew ausgehalten
00:13:15: hat, weil sie auch nicht so lange fahren konnte. Irgendwann hat sie gemerkt, es geht nicht mehr
00:13:18: und dann ist sie nach Süden gefahren in Richtung der Republik Moldau, wo ihr Mann nicht rausgelassen
00:13:23: worden ist, auf wen sie im neunten Monat schwanger war und dann hat sie jetzt vor wenigen Tagen
00:13:26: in einem grenznahen Dorf eine kleine Tochter zur Welt gebracht mit dem Namen Mira, die Friedliche.
00:13:33: Eine andere besonders tragische Geschichte ist ein Kollege, der mit seiner Familie nach Westen
00:13:37: gefahren ist, ins Ausland wollte. Auf dem Weg hörte, Männer werden nicht rausgelassen, hat die
00:13:41: Familie entschieden, das hat keinen Sinn, ist in einem Dorf geblieben, an der Zythomerska Trasse,
00:13:46: das ist dann die westliche Achse raus aus Kiew und genau dafür lief mehrere Tage lang die Front
00:13:52: und wir hatten Angst, dass sie das nicht überleben. Sie haben es überlebt und sie sind letztlich
00:13:56: unter Beschuss daraus gefahren. Bei einem Kollegen machen wir uns zurzeit besonders Sorgen,
00:14:01: der ist in einer Stadt namens Nezhen, die ist von russischen Kräften umstellt, auch vermient,
00:14:06: man kann nicht aus der Stadt rausfahren, die Stadt hat seit mehreren Tagen keine funktionierende
00:14:10: Wasserversorgung mehr. Das ist der Zustand, den wir zurzeit leider sind. Hast du Kontakt zu allen
00:14:15: Kolleginnen und Kollegen? Ist das im Moment möglich? Ja, wir haben Kontakt zu allen und das Internet
00:14:20: funktioniert tatsächlich noch. Es funktioniert auch in Kiew, bei denen die auf der Dacia sind,
00:14:24: schwankt das manchmal, aber wir können tatsächlich mit allen jeden Tag reden und ich gestehe offen
00:14:28: einen der Morgen, beginnt mit dem Blick aufs Handy. Manchmal auch nachts, wenn man, wenn man nicht so
00:14:32: gut schläft, guckt, geht es allen gut, kann man irgendwas machen, gibt es irgendwas Neues und so
00:14:36: geht das jetzt seit drei Wochen. Ja, wie hat sich bei dir die Situation verändert? Du kennst
00:14:42: Russland gut, trotzdem vermute ich, dass sich der Alltag auch bei dir bei euch nochmal verändert
00:14:48: hat in den vergangenen Wochen und Monaten. Ja, definitiv. Auch für uns gibt es ein Davor und
00:14:54: ein Danach, das davor zeichnete sich jetzt auch schon dadurch aus, dass es kontinuierlich schlechter
00:14:59: wurde, zumindest was die Arbeit hier betrifft, also dass die Person deutlich angezogen wurden von den
00:15:04: letzten anderthalb Jahren, dass unsere Partner immer mehr Schwierigkeiten bekam. Aber so ein Alltag
00:15:07: hat sich das nicht großartig für uns ausgewirkt. Ich kann mich aber noch recht gut an den 24.
00:15:13: Morgen erinnern, nach der Invasion der Ukraine, die mich die ersten Informationen bekommen hatte,
00:15:18: hatte ich der Paralyser Zangers Handy auf, las die ersten weitergeleiteten Nachrichten aus
00:15:23: Marcel's Team, stopfte gleichzeitig meine vierjährige Tochter in ihrem präzessenen Kostümen für
00:15:28: den Fasching, der natürlich trotzdem stattfindet und hat mich dann parallel mit uns herausholfen
00:15:32: und da halten die Ukraine-Rin ist gefragt, wo sie denn herkommt und sie es mir erzählt hat und dann
00:15:36: auch meint aber eigentlich ist es egal, es wird überall geschossen. So in diese Situation beschreibt
00:15:41: für mich im Prinzip das Gefühl, wie wir uns die gesamte Zeit über empfinden. Es ist ein leicht
00:15:45: surreal, dass das Leben geht als solches weiter, Kinder gehen zur Schule, wir gehen alle zur Arbeit,
00:15:50: wir machen auch, sagen in der Stiftung, das was jetzt gerade so ansteht, aber es ist wie so ein,
00:15:55: es ist leicht surreal, es ist wie so ein Filter rübergelegt und man merkt es an allen Ecken und
00:16:00: Enden tropft sozusagen der Konflikt rein. Für meine Mitarbeiterin war es von Tag 1 an sehr,
00:16:05: sehr schwierig aus verschiedenen Gründen. Zum einen weil sie natürlich auch an das Team in
00:16:10: Ukraine gedacht haben, zum Teil kennt man sich, weiß, welche Situationen sie sind, haben sie
00:16:14: sehr Sorgen gemacht, dann aber auch tatsächlich Scham, dass ihr Land jetzt tatsächlich diesen
00:16:20: Angriff gestartet hat und natürlich große Sorge, weil sie verstehen, Russland ist jetzt das Land,
00:16:28: das praktisch der Paria ist in der Welt, eine Kollegin, die schon länger auch mit dem Gedanken
00:16:32: gespielt hat jetzt in Deutschland zu arbeiten und sich immer mal so Jobs angeschaut hat,
00:16:36: zum einen mal zu mir. Wer soll mich denn jetzt noch anstellen mit diesem Pass? Also für allen ist
00:16:40: klar, sagen hier ist etwas ganz grundsätzlich verändert worden. Es ist eine ganz eigenartige
00:16:44: Gleichzeitigkeit, es gibt Dinge, die laufen weiter und trotzdem ist nichts mehr so wie es vorher war.
00:16:49: Ganz genau, also wir tun im Moment gerade noch so, so Gewe ist den Alltag auch in der Stiftungsarbeit,
00:16:55: wo wir wenig jetzt natürlich machen, aber bestimmte Dinge müssen gemacht werden,
00:17:00: Behörden müssen, bestimmte Dinge gemeldet werden usw. Aber alle sind in Erwartung,
00:17:05: dass hier noch etwas passiert, auch hier in Russland. Du hast schon beschrieben, wie die
00:17:09: Kolleginnen und Kollegen die Situation wahrnehmen, was das auch mit ihnen macht. Wie ist es mit dem
00:17:15: Umfeld der Kolleginnen und Kollegen? Was hörst du da? Ich stelle mir vor, dass es ein aufgeheiztes
00:17:20: Klima gibt. Die Kolleginnen und Kollegen arbeiten für eine deutsche Stiftung, ist das schwierig in
00:17:26: ihrem Umfeld? Gibt es da vielleicht Anfeindungen? Gibt es Sympathie? Das ist ganz unterschiedlich,
00:17:32: je nachdem, welchen Umfeld sich bewegen. Wir haben relativ junges Team, von daher sind viele auch in
00:17:37: diesem Feld unterwegs von Leuten, die zur oberen Mittelschicht, sag ich mal, gehören. Da sehen
00:17:46: wir, dass die Bewertung durchaus ähnlich ist und wir sehen ja auch, dass diese Mittelschicht
00:17:50: entweder protestiert oder halt auch in großen Scharen, muss man sagen, das Land verlässt. Sie
00:17:54: hören dann halt von vielen Freunden, also das gängiges Gespräch, hast du gehört, der ist da oder
00:17:59: der bereitet hier, sagen wir wegzukvor und wo ist denn der jetzt eigentlich hingekommen? Ach,
00:18:03: Armenien, alles klar. Das sind zum Teil der Gespräche, aber auf der anderen Seite mit Eltern häufiger
00:18:08: oder auch mit Verwandten die Situation, dass sie darauf stoßen, dass der Krieg durchaus auch
00:18:13: verteidigt wird. Und da dann merke ich, dass Entsetzen bei meinen Kolleginnen, die völlig
00:18:20: irrigiert sind, dass das geglaubt werden kann, was zum Teil hier eben auch medial vermittelt wird
00:18:25: und die dann in einer schwierigen Situation sind. Manche reden jetzt tatsächlich auch Teil
00:18:29: in der Familie nicht mehr, weil sie das nicht aushalten. Andere versuchen dann auch weiterhin
00:18:32: darauf einzuwirken, aber es ist, das muss man ganz deutlich sagen, für diese Gesellschaft auch ein
00:18:37: massiver Riss zwischen gerade jung und alt, aber auch zwischen der Mittelschicht, der U-Bahn-Ivite
00:18:47: und dem eher ländlichen Russland, ist ein riesiger Riss, der durch die Gesellschaft geht
00:18:54: und der schwer wieder zu kitten sein wird. Das sind ja, wenn man sich die Reden, die narrative,
00:18:59: die Erzählungen anhört aus dem Kreml, aus Putins Mund und aus Putins Feder, über die historische
00:19:07: Einheit zwischen der Ukraine und zwischen Russland, das sind ja manchmal Erzählungen, die uns schwerfallen
00:19:14: zu glauben. Aber natürlich wird das in Teilen des Landes, in Teilen der Bevölkerung geglaubt.
00:19:21: Kann man das irgendwie quantifizieren? Wie groß ist der Anteil derjenigen, der sich mit dieser
00:19:28: Erzählung, mit dieser Legitimation anfreunden kann? Wie groß ist der Teil derjenigen, die da eher
00:19:33: skeptisch sind? Wir haben natürlich nur so Nährungswert. Das ist ein bisschen schwierig.
00:19:39: Natürlich gibt es Meinungsumfragen, die gehen um die 70-75% Unterstützung für den Konflikt aus.
00:19:46: Jetzt gibt es zwei Dinge, die man berücksichtigen, das eine ist, zälogische Umfragen in Zeiten
00:19:52: einer Kriegssensur, die wir jetzt hier haben. Also steht ja unter Strafe zum Beispiel,
00:19:56: das Wort Krieg zu verwenden. Bedeutend natürlich auch, dass wenn irgendjemand anruft und seine
00:20:00: Meinung hören will, ob du jetzt Putin unterstützt oder nicht, dann musst du schon eine gewisse Portion
00:20:04: um Hut mitbringen und zu sagen, ne, tu ich nicht. Also es gibt eine hohes Maß an sozialerwünschten
00:20:09: Antworten. Das andere ist, dass nicht alle, sagen sie sich damit intensiv auseinandersetzen wollen
00:20:15: und nicht aktive nach Informationen suchen, sondern akzeptieren, was ihnen angeboten wird.
00:20:18: Der Informationsraum in Russland wurde in den letzten Wochen so dramatisch reduziert,
00:20:23: indem fast alles im Prinzip was unabhängige Informationen angebildet geblockt wurde,
00:20:27: unabhängige Medien teilweise auch schließen mussten, also der letzte unabhängige Fernsehsender
00:20:32: pausiert, der wichtige liberale Sender ECHO Moskows ist geschlossen worden. Das heißt,
00:20:38: man muss einen gewissen Aufwand betreiben, um im Alter hativen Informationen zu kommen.
00:20:41: Diejenigen, die das nicht tun, leben in einem Informationsraum, in dem es heißt, es gibt
00:20:44: nur eine Spezialoperation, die ist ganz zielgerichtet nur auf militärische Infrastruktur, es gibt kaum
00:20:50: eigene Verluste, es gibt kaum zivile Opfer und wenn, dann liegt es daran, dass sogenannte Nazi-Regime,
00:20:56: sozusagen Leute als Schutzschilder, Notstur der Geziertung, welche Sapportagen und Volksflag-Operationen
00:21:01: machen. Nicht wir haben angegriffen, sondern wir haben nur verhindert, dass wir als nächstes
00:21:05: angegriffen werden, also auch die Schuldumkehr wird dort betrieben. Und wenn man nur dieses Bild
00:21:09: hat und sich damit nicht weit auseinandersetzen würde, dann kann man sagen, ja okay, das unterstütze
00:21:13: ich, ja, da bin ich dann auch hinter unseren Truppen. Aber das wird sich ändern, nämlich in dem Moment,
00:21:19: wo klar wird, dass es eben nicht nur eine Spezialoperation war, wenn das irgendwann hoffentlich
00:21:23: glimpflich ausgeht, wenn man das da an der Stelle überhaupt noch sagen kann, kommen die 100.000en
00:21:28: Soldaten zurück, ein Teil von denen nicht mehr, dann wird auch deutlich werden, wie viele von
00:21:32: denen nicht mehr zurückkommen. Und die anderen werden erzählen, was das für eine an Anführungsstrichen
00:21:36: Spezialoperation eigentlich war und von den Grauen eines Krieges erzählen. Und das wird tatsächlich
00:21:43: dann nochmal die Konfrontation dieser Gesellschaft und ganz viele Teile davon mit der Realität
00:21:48: werden und wird sicherlich auch nochmal etwas an der Wahrnehmung dieser ganzen Situation verändern.
00:21:53: Kurz gesagt, es gibt diese Spaltung, wir können nicht genau sagen, wie der Aufteilung ist,
00:21:57: es gibt einen großen Teil, der das versucht nicht wahrzunehmen und sich sagen, wert gegen
00:22:02: weil andere Informationen und dann das Narrativ akzeptiert. Es gibt einen kleineren Teil,
00:22:06: glaube ich, der Hardcore wirklich das unterstützt, weil wir fest daran glauben,
00:22:10: dass es dort eine Nazidegim gibt und es gibt einen anderen kleinen Teil der Bevölkerung,
00:22:14: die sehr aktiv dagegen sind, weil sich alternative Informationen suchen.
00:22:17: Wie war euer Austausch in den vergangenen Wochen? Habt ihr vermute ich grundsätzlich
00:22:22: einen sehr regelmäßigen Austausch? Wie hat er sich verändert?
00:22:25: Ja, wir haben im Vorfeld natürlich auch schon immer wieder Informationen ausgetauscht,
00:22:30: wechselseitig versucht, Bewertungen uns einzuholen, auch immer wieder nachgefragt,
00:22:34: wie geht es denen, was er kennt, unser Büro gut, ich kenne seine Leute gut, was ich ja auch
00:22:38: geferent war und uns da versucht, wechselseitig ein Bild klarer zu stellen, schärfer zu stellen,
00:22:45: was wir da jetzt eigentlich vor uns haben. Zeitausbruch des Krieges, seit dem Überfall
00:22:50: geht es sehr viel eben auch darum, Informationen auszutauschen, wie es den Neuten geht,
00:22:55: natürlich in erst der Minute Marcel zu Leuten. Das sind ganz andere Nachrichten,
00:22:58: die wir da miteinander ausgetauscht haben und weiterhin versuchen wir aber beide irgendwie
00:23:03: Sinn draus zu machen und dann auch die wild umherschwebenden Informationen, da gibt es ja jetzt
00:23:08: wahnsinnig viel, denn auch immer aneinander zu brechen und zu schauen, was kann da dran sein,
00:23:13: das ist Quatsch, wie kann man das einschätzen? Also auch ein Abgleich von Perspektiven, Marcel.
00:23:18: Also das Gute ist, dass fast alle Briefings per und ich gemeinsam machen in dieser Zeit,
00:23:24: um auch wirklich ein volles Bild zu vermitteln, über das was passiert, dadurch dass die Lage
00:23:29: auch so dynamisch ist, sich teilweise in kürzester Zeit irgendwas Neues irgendwo entwickelt,
00:23:34: ist das auch immer ganz gut, weil wir beide jeweils in unseren Ländern am Puls sind und merken,
00:23:38: was jetzt gerade passiert, was sich irgendwie ententwickelt und das dann relativ schnell,
00:23:42: kurzfristig tun können, ist auch so ein bisschen vielleicht die Stärke, so eine Stiftung, dass
00:23:47: man eben auf der ganzen Welt oder fast der ganzen Welt Leute sitzen hat, die dann zweifelsfall das
00:23:51: aus unterschiedlichen Blickwinkeln auch beleuchten können. Natürlich fällt es mir persönlich
00:23:56: schwer, weil ich in beiden Ländern arbeiten durfte und auch beide Büros kennen, die Büros haben
00:23:59: sie natürlich sehr verändert im Laufe der Zeit, das dann so auch zu erleben, aber das geht ja
00:24:04: vielen so, es geht erst recht in Ukraine an, so die verwandtschaftliche Beziehungen nach Russland
00:24:07: haben oder in Russland geboren sind ganz und gar. Ich sage immer, Zelenski selber ist ein russisch
00:24:11: sprachiger Jude, der also völlig aus dem, wenn man so will, dem russischen Kulturraum kommt und
00:24:16: jetzt auf einer ganz anderen Seite steht. Es ist ja in solchen Situationen logisch, dass man nicht
00:24:21: unfassbar differenziert vorgehen kann, aber das was du beschreibst verlangt ja eigentlich nach
00:24:26: einer Differenzierung. Gelingt diese Differenzierung also zu unterscheiden zwischen Putin's Krieg
00:24:30: und den Menschen in Russland, gelingt das in dem, was du mitkriegst quasi aus der Ukraine?
00:24:35: Sehr, sehr, sehr schwierig vor allem, wenn dann manchmal so Meinungsumfragen kommen, die sagen
00:24:40: 70 oder 80 Prozent der Menschen in Russland, genau habe ich die Zahlen nicht im Kopf, unterstützen
00:24:44: nicht den Krieg, da heißt es ja nicht Krieg, sondern die Militäroperation. Wobei wir immer sagen,
00:24:50: bei den Meinungsumfragen Russland muss man immer vorsichtig sein, wenn in so einem Staat das
00:24:53: Telefon tingelt und die man fragt, wie finden sie unseren Präsidenten, dann sagt man vielleicht
00:24:57: nicht unbedingt die Wahrheit, aber ich weiß, wer da eigentlich tatsächlich anruft, deswegen immer
00:25:01: vorsichtig sein mit den Zahlen. Aber natürlich, ich habe auch Debatten mit meinen Kolleginnen und
00:25:06: Kollegen in Kiev über die Ferne dieses, wenn wir sagen, es ist Putins Krieg, es ist nicht Russlands
00:25:11: Krieg, dann sagen wir meine Kolleginnen und Kollegen, na ja, aber haben wir damals gesagt, das war
00:25:16: Hitlers Krieg oder war es Deutschlands Krieg und wer hat eigentlich Hitler ermöglicht? Also es ist
00:25:20: sehr, sehr schwierig, das immer noch auf einer Person in die Schuhe zu schieben. Gleichwohl,
00:25:24: ich habe tiefste Respekt und Anerkennung vor den mutigen Menschen in Russland, die jetzt auf die
00:25:28: Straße gehen, dessen Menschen die ihrem Gewissen folgen, aber ich weiß, es gibt sicherlich eine
00:25:32: ganze Menge, die sich damit schwer tun und in ihren Gedanken ganz woanders sind, aber sich eben noch
00:25:37: nicht trauen, auf die Straße zu gehen aus ganz unterschiedlichen Gründen, das muss man auch
00:25:41: akzeptieren. Das wird sich vielleicht irgendwann nochmal ändern und ich bin mir auch sicher,
00:25:45: wenn man die russische Politik so ein bisschen erlebt hat, ich habe das kürzer und nicht so
00:25:50: intensiv erlebt als Vipära, aber es gibt auch in der russischen Politik durchaus auch vernünftige
00:25:55: Stimmen, auch wenn die vielleicht vor der Kamera was anderes sagen. Und wenn man sie dann hinter
00:25:59: der Kamera erwischt, dann vielleicht dann wiederum nicht und darauf hofft man so ein bisschen auf
00:26:03: die Vernunft am Ende und vielleicht die Möglichkeit, die diese vernünftigen Stimmen auch haben auf
00:26:08: ihren Präsidenten tatsächlich einzubehören. Was Marcel anspricht, ist ja etwas, worüber wir alle
00:26:13: in diesen Tagen spekulieren. Wie ist die Lagebewertung quasi bei denjenigen, die in Russland gerade
00:26:20: Entscheidungen treffen, welche Perspektiven gibt es für die Weiterentwicklung der Situation quasi
00:26:25: in russischen Führungskreis? Früher hat man das mal Kreml-Astrologie genannt, also versuchen rauszufinden,
00:26:31: was der Kreml denkt und dahinter steckt auch das Bild, dass man es letztlich nicht so genau
00:26:36: wissen kann, wie man wahrscheinlich nicht die letzte Wahrheit aus den Sternen ablesen kann,
00:26:40: ist man nicht auf ganz gewissem Grund. Aber per was ist da eine Einschätzung? Welche Szenarien gibt es?
00:26:46: Welche Perspektiven gibt es für ein Ende dieses Konflikts? Ja, sehr schwierig. Also die Kreml-Astrologie,
00:26:53: die Kreml-Astrologie früher war ja sozusagen, wer steht bei den Paraden besonders dicht am
00:26:59: jeweiligen Vorsitzenden, dass der kam. Daraus hat man dann versucht abzulesen, wie gut die Leute
00:27:05: zueinander stehen. Jetzt ist das neu, allerdings, welche Flugzeuge, welche Richtungen sich bewegen,
00:27:09: wer sich wohin absetzt. Es ist extrem schwer, im Moment nachzuvorziehen, wie eigentlich die
00:27:15: Entscheidungen tatsächlich getroffen werden. Wir haben gesehen, dass es offensichtlich nur noch
00:27:19: ein extrem kleiner Kreis ist, mit dem Putin sich berät. Es wurde sehr deutlich bei der Sitzung des
00:27:24: Sicherheitsrates, ja einer kompletten Inzienierung, wo Leute befragt wurden, die wir üblicherweise als
00:27:32: den engeren Beraterkreis eigentlich betrachten, als Außenminister, dem Chef des Auslandsgehaltenddienstes,
00:27:37: den Verteidigungsminister dergleichen mehr, die offensichtlich selber nicht wussten, wo die
00:27:41: ganze Sache gerade hingeht und vorgeführt wurden, teilweise wirklich absurd vorgeführt. Da sieht man,
00:27:46: dass der Kreis nochmal deutlich geringer geworden ist, indem Entscheidungen getroffen werden. Das macht
00:27:52: es für uns wahnsinnig schwer, das auch voraus zu Bocknis zu zählen. Wir gehen, wenn wir so
00:27:57: unsere Analysen machen, gehen wir auch davon aus, dass wir unsere Rationalität, auch die
00:28:02: des Gegenübers ist und daraus Schluss folgen, wie er wohl handeln wird. Diese Annahme ist bei mir
00:28:08: spätestens seit der Rede vor dem Angriff des Präsidenten, also seine auch historische Abhandlung,
00:28:13: warum die Ukraine eigentlich keine Stadlichkeit ist und so weiter. Diese Wutrede, diese Annahme
00:28:17: muss sich seit dem Zeitpunkt revidieren. Da wurde mir klar, es spielt noch ein anderer Faktor in
00:28:21: der entscheidenden Rolle, nämlich Emotionen, persönliche Kränkungen, ein Sendungsbewusstsein.
00:28:28: Also Dinge, die wir eigentlich aus unserer Analys, aus unseren internationalen Beziehungen,
00:28:35: tillies nackt, die
00:28:37: europaweit den verbannt haben. Wir sind gewohnt, dass wir Dinge ausdiskutieren, dass die in
00:28:41: Verträge reingegossen werden. Das muss ich da rostreiten, da gleich, aber alles immer auf der
00:28:46: Ebene rationaler Argumente und Interessen. Und hier kommt auf einmal so ein Faktor rein,
00:28:49: den wir vergessen haben. Also ein persönlicher Faktor eines Staatenenkers. Das scheint ihn
00:28:56: tatsächlich umzutreiben. Das macht es im Moment, das hat einen gewisse Wirkmacht für die Entscheidungsfindung
00:29:00: innerhalb des engsten Zirkles hier in Russland. Das macht es im Moment extrem schwierig voraus zu
00:29:06: sagen, wo ist jetzt eigentlich das Ende dieses Komplizus, wird es gesehen. Das geht sehr stark
00:29:12: in die Mutmaßung. Deutlich geworden ist, dass es nicht mehr zwingend nur um die Frage der Sicherheit
00:29:19: Russlands geht, also um bestimmte Sicherheiten oder nicht mehr so, wie wir das ursprünglich
00:29:24: angenommen haben. Also die Neutralität der Ukraine, der Verzicht auf die NATO-Mitgliedschaft. Das sind
00:29:30: alles Dinge im Prinzip, dass die Ukraine keine NATO-Mitgliedt werden würde in den nächsten zehn
00:29:34: Jahre, also auf die verbleibende Lebensspanne Putins gerechnet. Wahrscheinlich nicht mehr zu seinen
00:29:39: Lebenszeiten. Das war auch vorher völlig klar, dass man weitere Sicherheitsvorteil in Verhandlungen
00:29:45: noch erreichen könnte. Das ist auch dadurch deutlich geworden, dass die Amerikaner durchaus
00:29:48: angefangen haben, bestimmte Angebote zu machen. Also man hätte auf der Verhandlungspolitik,
00:29:53: die gar nicht mal so schlecht war von Russischer Seite. Also ein bisschen erschreckend für uns mit
00:29:58: diesem Maximalforderung usw. Aber sie haben etwas bewegt, dass auf diesem Pfad hätte es weitere
00:30:03: Möglichkeiten gegeben für Russland, Sicherheiten für sich zu schaffen. Da scheint aber nicht
00:30:08: mehr das eine leidige Moment umzusagen, sondern es scheint tatsächlich immer weitgehende Kontrolle
00:30:11: der Ukraine zu gehen. Es scheint darum zu gehen, dieses Land dann wieder in den Machtbereich
00:30:17: einzuholen. Ein Indikat dafür ist ein Artikel, der versehentlich wenige Tage nach dem Einmarsch in
00:30:22: der Ukraine auf der anderen Seite erschienen ist. Der war vorbereitet, der war terminiert für einige
00:30:27: Tage nach dem Überfall und in dem wurde im Prinzip schon ein Globpreis, dass man das geschafft hat
00:30:33: und dass man das Antirussland besiegt hat und diese russische Welt wieder hergestellt hat. Da
00:30:38: wurde sehr deutlich in welche Richtung das eigentlich geht. Das macht es momentan schwer,
00:30:43: zu sehen, wo die Verhandlungslösungen im Zweifel zwei sein können. Die Hoffnung besteht denn noch,
00:30:49: dass es ausreichend Kräfte im Umfeld gibt, die verstehen, dass die Ukraine in der Form nicht
00:30:55: zu beherrschen ist, wie sie sich das vielleicht vorgestellt haben. Die Ukraine fällt nicht. Wir
00:31:00: haben grundsätzliche Fehlkalkulationen gemacht und das ist die Bevölkerung der Ukraine,
00:31:04: zusätzlich zu anderen, wie die Stärke des Militärs und die Stabilität des Präsidenten
00:31:09: so weiter. Aber sie haben definitiv nicht damit gerechnet, dass sich die 40 Millionen Ukrainer
00:31:12: oder zumindest ein Großteil von denen, die sie im Land aufhalten, nicht ergeben werden und sich
00:31:17: keinen Interesse daran haben unter russischer Herrschaft zurückzukommen. Und das glaube ich wird
00:31:21: auch verstanden in den Kreisen. Ich hoffe, dass ich da sukzessive durchsetzt, dass man eine
00:31:26: Ergebnissicherung jetzt machen muss, mit dem man irgendwie sagen kann, das ist ein Erfolg und
00:31:29: dann in irgendeiner Stelle das dann auch wieder beendet. Das ist tatsächlich erst auf eine Verhandlungslösung
00:31:33: hinauskommen. Finde, du hast was ganz Entscheidendes gesagt aus meiner Einschätzung. Du hast gesagt,
00:31:39: wir müssen einpreisen, dass es hier nicht die Rationalität quasi im Handeln gibt, die wir
00:31:44: kennen aus anderen außenpolitischen Situationen. Mit der wir irgendwie versuchen auf die Welt
00:31:50: zu schauen. Das ist ja tatsächlich, wie ich sagen würde, ein Gamechanger. Wir haben außenpolitische
00:31:55: Theorien. Seit Jahrzehnten machen wir uns darüber Gedanken, was treibt das außenpolitische Handeln
00:31:59: von Staaten an? Und selbst in den Theorien, die von einem etwas skeptischeren Menschenbild geprägt
00:32:05: sind, wo es um Macht geht, ist dieser Faktor der Irrationalität. Was Putin ja auch anspricht,
00:32:11: Gefühle von Demütigung spielen da eigentlich kaum eine Rolle. Und jetzt müssen wir damit irgendwie
00:32:18: operieren auch. Und du hast es ja am Ende beschrieben, wenn man über irgendein Szenario
00:32:22: nachdenkt, um daraus zu kommen, darf es quasi nicht den Eindruck dieses Gefühls von Demütigung
00:32:28: haben, wenn ich dich richtig verstehe. Ja, das ist, glaube ich, auf beiden Seiten entscheidend. Also,
00:32:32: ich meine, auch für die Ukraine steht da viel auf dem Spiel in der Hinsicht. Auch da muss man
00:32:36: natürlich um Akzeptanz in der Bevölkerung kämpfen. Aber ja, ich kann mir im Moment nicht vorstellen,
00:32:40: dass der russische Präsident bereit ist, etwas zu akzeptieren, was für ihn nicht ein Sieg ist. Wie
00:32:46: auch immer das dann ausschaut, wie auch immer man das, sag ich mal, framed oder so etwas. Aber eine
00:32:51: Niederlage zu akzeptieren ist, glaube ich, im Moment nicht im Mindset, weder das Präsidenten noch
00:32:55: des allerängsten Beraterkreises, als auch immer da, ich hätte es wirklich noch mit drin. Von daher
00:32:59: muss es irgendetwas geben, was man so in diese Richtung interpretieren kann. Achsel, wie schätzt
00:33:04: du die Möglichkeiten ein, um zu einem Waffenstillstand vielleicht zu einer Friedensordnung zu kommen?
00:33:11: Wie ist die ukrainische Perspektive? Momentan habe ich das Gefühl, beide Seiten sind bereit für
00:33:16: Verhandlungen, aber spielen auch sehr auf Zeit. Bei der russischen Seite ist es sicherlich so,
00:33:21: man spielt auf Zeit, weil man die militärischen Ziele noch nicht erreicht hat, die man erreichen
00:33:25: wollte. Also jetzt würde es eine Niederlage sein, wenn man rauskommt. Zum einen, zum anderen,
00:33:29: versuchen sehr offensichtlich Nachschub aus weit entfernten Teilen Russlands zu bringen,
00:33:34: möglicherweise auch Kräfte aus Armenien, aus Süd-Aussetzchen abzuziehen und aufzufrischen,
00:33:40: weil wir jetzt davon ausgehen, dass von den 220.000 in der ukrainienbefindlichen Truppen, das sind
00:33:45: alle, die man vorher da massiert hatte, inklusive Versorgung und so weiter, dass von denen etwa
00:33:50: 10 bis 20 Prozent ausfallen, weil sie gefallen sind, verwundet sind, gefangen genommen worden sind.
00:33:54: Das ist schon eine ziemliche Lücke, und wir haben jemanden erklärt bei einer taktischen
00:33:57: Vaterionsgruppe, wo von etwa 120 im Einsatz sind, dann wenn da von 10 bis 20 Prozent ausfallen,
00:34:03: dann ist diese Gruppe nicht mehr operativ in der Lage, was zu tun. Das heißt, Zeit, um die
00:34:10: Truppen wieder zu erfrischen, das erklärt vielleicht auch, warum sie jetzt in der letzten
00:34:13: Woche keine großen Landgewinne hatten. Für die ukrainische Seite ist es so, je länger man
00:34:17: durchhält, desto besser ist die eigene Verhandlungsposition. Wenn man sagt, dann hat die russische
00:34:21: Seite derartig hohe Verluste, dass sie dann eher bereit ist, uns entgegenzukommen. Das Perfide
00:34:27: dabei ist, dass das eben ausgetragen wird auf dem Rücken der Zivilbevölkerung. Ich versuche mal
00:34:31: ein positives Szenario auszumalen, was für Kiew immer noch schwer zu schlucken ist,
00:34:36: aber was möglich ist. So ein Waffenstillstand, das ist der Beginn. Dann die Ukraine, die die
00:34:43: Neutralität wieder in die Verfassung aufnimmt, das hatte sie bis 2019 ohnehin in der Verfassung,
00:34:48: hat es dann geändert hin zum Ziel der NATO-Mitgliedschaft. Verfassungsänderung dauert aber. Das kennen
00:34:53: wir aus allen Demokratien, das heißt, man muss mit einer Dreiviertelmehrheit im ukrainischen Fall
00:34:57: die Verfassung ändern. Die Mehrheit hat Zelenski nicht automatisch, er braucht also Stimmen der
00:35:01: Opposition. Es dauert vor allem drei Lesungen. Russland wird aber jetzt nicht sich damit zu
00:35:05: Frieden geben, dass die Ukraine verspricht, das zu tun, sondern um Truppen abzuziehen,
00:35:09: braucht es etwas mehr. Da kommen die Sicherheitsgarantien ins Spiel, Sicherheitsgarantien des
00:35:13: Westens, aber auch der Türkei und Israel möglicherweise, um also auch ein Faust-Fand zu geben.
00:35:18: Russland spricht immer noch von der Demilitarisierung der Ukraine. Jetzt kann man sagen, das wird
00:35:22: ja dadurch erreicht, dass das ukrainische Militär gerade aus der Luft zerschlagen wird. Bin mir
00:35:26: nicht sicher, ob das Russland ausreicht. Das kann natürlich auch sein, dass man sich auf
00:35:30: Modell einigt. Zum Beispiel, das Schweizer Modell wurde von Zelenski's Berater jetzt eingebracht,
00:35:34: also eine Armee, die sehr stark auf Reservisten fußt und ansonsten keinem Bündnis angehört.
00:35:39: Es geht um die, das hat Putin gegenüber Erdogan offensichtlich verlautbart, nochmal den Status
00:35:44: der russischen Sprache. Vielleicht meinte auch das mit seinem dubiosen Wort der Entnazifizierung.
00:35:48: Die Ukraine kann zum Beispiel die europäische Karte der Minderheiten und Regionalsprachen
00:35:52: umsetzen. Das hat sie bislang nicht gemacht und hätte russisch ein Status einer Minderheit.
00:35:56: Das wäre vielleicht auch hier ein Entgegenkommen, was vielleicht auch nicht allzu sehr weh tut.
00:36:01: Und dann hätten wir ein Konstrukt, die große Frage ist immer noch die Anerkennung Donetsk,
00:36:06: Lugansk und der Krim. Welche genauen Grenzverläufe es da geht, bei Donetsk und Lugansk ist auch
00:36:12: nicht klar, ob das jetzt dann die kompletten Oblastgrenzen bedeutet. Das hieß sie dann,
00:36:16: dass Städte wie Mariupol, Kramatorsk, Severodonetsk in russischer Hand fallen würden. Und nach der
00:36:22: Zerstörung in Mariupol ist das unvorstellbar. Jenseits des Grenzverlaufs ist ja die Frage,
00:36:30: wie man es anerkennt, ob man es die Jure oder die Faktor anerkennt. Die BRD hat die DDR nicht
00:36:35: anerkannt juristisch, aber trotzdem in Modus wie wenn die gefunden. Und die USA haben die Zugehörigkeit
00:36:41: des Baltikums zur Sowjetunion nie anerkannt, aber trotzdem mit der Sowjetunion gesprochen.
00:36:45: Das ist also durchaus möglich, ohne dass man es jetzt juristisch anerkennt. Das heißt,
00:36:48: wahrscheinlich wird es aus einem Friedensvertrag ausgeklammert. Jetzt muss man sehen,
00:36:52: Zelensky hat sich einen sehr starken Nimbus erarbeitet. Zuletzt waren eigentlich seine
00:36:56: Umfragewerte empfalten, so wie bei jedem ukrainischen Präsidenten in der Vergangenheit,
00:37:00: dass immer der Fall gewesen ist, mit großen Hoffnungen gestartet, dann schnell gefallen.
00:37:04: Das ist jetzt anders. Zustimmungswerte, die noch nie ein ukrainischer Präsident hatte.
00:37:08: Das heißt, dieser Nimbus hilft ihm vielleicht auch diesen Kompromiss zu erklären, denn die
00:37:12: ukrainische Politik müsste einen absoluten U-Turn vollziehen. Sie müssten die NATO-Mitgliedschaft,
00:37:18: die sie auch unter Zelensky jetzt immer mehr hervorgehoben haben, einfach mal aufgeben
00:37:22: und über Bord schmeißen. Und das trotz der hohen Zustimmung. Das ist schwer zu erklären.
00:37:26: Und wenn man sich dann noch vorstellt, Gebietsabtreitungen, Verkleinerung der Armee,
00:37:31: dann erinnern uns mir mal an die deutsche Geschichte zurück nach dem Ersten Weltkrieg und den Versaillervertrag.
00:37:37: Wir wissen, was das innenpolitisch anrichten kann aus unserer eigenen Geschichte. Das droht
00:37:43: sicherlich auch der Ukraine. Das ist also nicht gesagt, dass es so gut funktioniert. Und es ist
00:37:48: gar nicht gesagt, dass es überhaupt zu diesem Kompromiss kommt. Es kann natürlich auch seines
00:37:51: Russland so sehr auf Zeit spielt und verhandelt, einfach um den Krieg in eine neue Phase zu
00:37:56: überführen und einfach nur diese Verhandlung nutzt, um Zeit zu gewinnen. Das ist meine Befürchtung.
00:38:00: Dann kommen wir in so ein zweites Szenario, was mich erinnert an Afghanistan der 80er Jahre.
00:38:06: Ein langer Abnutzungs- und Zermürbungskrieg. Der Krieg dauerte damals zehn Jahre. Die russische
00:38:10: Armee, die gebunden ist, wo Waffen aus dem Westen immer wieder reingeliefert werden,
00:38:14: ein Land, das nicht mehr lebenswert ist, wo Millionen dauerhaft sich auf den Weg machen. Das
00:38:19: ist etwas, das kann nicht im russischen Interesse sein. Das kann nicht im Interesse des Westen
00:38:23: sein und auch nicht im Interesse der Ukraine. Wenn man so will, optimistischere Szenario,
00:38:28: relativ optimistischere Szenario, was Marcel beschrieben hat, das erste Szenario, wäre das
00:38:34: aus deiner Sicht akzeptabel für die aktuelle Führung im Kreml. Wenn man das genau wüsste,
00:38:41: dann wären wir, glaube ich, schon um einiges weiter. Ich denke, es wird früher oder später
00:38:45: akzeptabel gemacht, einfach weil die militärischen Verluste so hoch sind, dass das irgendwann klar
00:38:50: ist, dass mehr auch letzten Endes dann vielleicht nicht zu erreichen ist. Mir macht dann ein bisschen
00:38:54: Gedanken, was daraus Schluss folgert. Also wenn das so in der Form akzeptiert wird,
00:38:59: wenn man diesen Kompromiss schließt, muss man das ja trotzdem und geht zu Hause noch weiter
00:39:03: hin als ein Erfolg verkaufen mit den vielen Verlusten, die man hat, mit den Soldaten,
00:39:11: die zurückkommen und von den Gräumen berichten. Das heißt, die Konsequenz ist eigentlich,
00:39:16: dass um dieses Narrativ, wir waren erfolgreich, wir haben die Ukraine denazifiziert, wir haben
00:39:21: sie demilitarisiert und verhindert, dass zu einem Anti-Russland wird. Das geht eigentlich
00:39:26: fast nur noch mit weiterer Repression, weiterer Einschränkung der Informationsfreiheit und
00:39:31: weiterum Abschluss der Gesellschaft. Das Schluss folgert sich, finde ich da eigentlich logisch
00:39:35: draus. Was mir so ein bisschen wirklich Gedanken macht. Dennoch kann man natürlich, also für
00:39:39: die Ukraine auf alle Fälle noch hoffen, dass das also schnell dann auch so passiert. Die
00:39:43: gesellschaftlichen Folgen für Russland sind eine andere Frage. Also noch ein Augenblick
00:39:48: bei der gesellschaftlichen Entwicklung in Russland, den innenpolitischen Folgen bleiben. Ich bin
00:39:54: verschiedene Male in Moskau gewesen und das ist ein wahrscheinlich völlig subjektiver Eindruck,
00:40:00: aber ich bin ganz gespannt, ob du ihn bestätigen würdest und ob du die Konsequenzen teilst. Ich
00:40:04: glaube 2009 auf irgendeiner Konferenz Russischer Akademie der Wissenschaften, es ging um die
00:40:09: Parteienlandschaft in Westeuropa. Und wir hatten irgendwie so ein Dialog, wie man ihn so hat
00:40:13: auf so einer Konferenz. Ganz freundlich, wechselseitig interessiert und man hat quasi jeweils auch
00:40:18: Parteienlandschaften miteinander verglichen. 2015 oder 16 war ich zum letzten Mal in Moskau
00:40:24: auch wiederum eine wissenschaftliche Konferenz am Rande, sehr herzliche freundliche Begegnungen. Die
00:40:30: Konferenz war von einem ganz anderen Charakter geprägt. Ich hatte den Eindruck, da gibt es so
00:40:34: eine ständige Frontstellung, wir gegen den Westen und auch gegen all das, was man quasi mit dem Westen
00:40:41: in Verbindung bringen kann. Demokratie, Liberalismus sozusagen, Meinungsfreiheit. Also eine Schließungstendenz,
00:40:47: die weit über diesen Konflikt jetzt hinausgeht, schon länger anhält. Das war zumindest jetzt mein
00:40:52: Gefühl, als ich mich daran erinnert habe. Würdest du diese Einschätzung teilen, ist es sozusagen
00:40:57: schon ein längerer Trend, der sich jetzt hier nochmal in einer neuen Dimension entfaltet?
00:41:02: Ja, definitiv. In Russland kann man schon länger beobachten. Ich glaube, da war so ein bisschen
00:41:07: 2011/2012 der Winter die großen Proteste nach dem erneuten Rohrade von Medvediv auf Brutin. Da war
00:41:14: so der Knackpunkt, seitdem misstraut der Kreml seinem Volk, würde ich mal sagen. Seitdem ist klar,
00:41:19: dass diese eigentliche Idee von wir machen wirtschaftlichen Wohlstand und das Volk bleibt dann
00:41:24: bitte ruhig, wenn bei einem politischen Entscheidung, dass das nicht mehr wirklich gut
00:41:28: aufgeht, dass sich da etwas entwickelt und dass diese Digitimationsbasis, das Wirtschaftenjahrfolge,
00:41:32: es nicht mehr funktioniert. 2013 ist Russland auch schon in die Richtung Ritzeationen gerutscht. Das
00:41:37: hat sich dann natürlich durch die Krim-Anektionen nochmal vertieft. Und seitdem haben die Menschen
00:41:42: regelmäßig jedes Jahr für Jahr weniger Fall verfügbares Einkommen. Das würde dieser ursprüngliche
00:41:47: Digitimationsbasis, die sehr stark war für Brutin, auch sehr viel Zuspruch gebracht hat,
00:41:51: die mich, dass es Russland wieder besser geht, das war kürzlich weg. Parallel wurde versucht,
00:41:55: eine andere Digitimationsbasis manövig aufzubauen, nämlich genau in dem, was du beschreibst,
00:41:59: diese Definition von Russland als Gegenwesten, Bestärkung von konservativen Werten, der Ablehnung
00:42:07: von all dessen, was wir bereichen von Freiheit, aber auch Multikulturalität, Diversitäten
00:42:13: und so weiter haben. Damit sozusagen ja so eine quasi-wertebasiert-religiöse-Digitimationsbasis
00:42:21: nochmal zu schaffen als Brutin, der Staat, derjenige, der dieses Leben garantiert, dieses
00:42:27: richtige, dieses wahre Leben. Plus natürlich diese Wagenburg-Mentalität. Wir müssen uns vor dem
00:42:33: äußeren Fallen schützen, man versucht von außen, Russland zu destabilisieren. Wir haben ja auch
00:42:38: zum Teil die ganzen Fahrprävolutionen, auch die Bolotner Proteste verstanden, dass sie von
00:42:42: außen initiiert wurden, um Russland zu schwächen. So, und dieser fixe Gedanke wurde zunehmend stärker
00:42:48: und war im Prinzip die Wegbereitung zu dem, was wir jetzt sehen. Da gibt es tatsächlich einen relativ
00:42:54: starken Glauben, dass die Ukraine sollte genutzt werden, um Russland weiter zu schwächen. Da gibt es
00:42:58: ein sicherheitspolitisches Argument, was man durchaus in dem Austausch ernst nehmen kann. Ja,
00:43:03: natürlich hat Russland keine Interesse, einen NATO mit Retirekt an der Grenze zu haben,
00:43:08: den unsinkbaren Flugzeugträger, der NATO direkt vor der Haustür mit Raketen, die dann halt von
00:43:13: der Ukraine nach Moskau nur noch sechs Minuten brauchen und so weiter. Das ist auf einer gewissen
00:43:18: Art und Weise verständlich. Aber es geht eben darüber hinaus. Es hat diese Kulturelle, diese
00:43:22: Wertedimension, dass man hier versuchen muss, den Westen rauszudrängen, diesen Raum zu befreien
00:43:27: davon und eben die russische Welt wieder zu erweitern. Und das ist aber, um das noch zu
00:43:31: ergänzen, das ist etwas, was auf Teilen der Gesellschaft tatsächlich auch wirkt, was funktioniert.
00:43:36: Russland ist an sich eine relativ konservative Gesellschaft, durchaus auch in einer gewissen
00:43:41: eigenen Religiosität. Aber es gibt eben auch diese Ovarne-Eliter, diese Ringlungen auf ganz
00:43:47: unterster Ebene, wo Leute anfangen zu sagen, okay, hier starten nicht mehr, hier bringe ich
00:43:52: mich selber ein. Das gab es sehr lange nicht in Russland, also es ist eine stark paternalistische
00:43:57: Haltung. Der Staat muss regeln, wenn nicht, regelt das nur in meinem allerängsten Kreis. Und das
00:44:01: entwickelte sich in den letzten Jahren deutlich mehr, also kommunaler Ebene in den Städten,
00:44:05: in den einzelnen Bezirken, Leute sich zusammengebracht haben, gemerkt haben, okay, sie können
00:44:09: zusammen was erreichen, sie können in hofe begrünen, sie können regeln, wie ihr Haus renoviert wird,
00:44:15: sie können Einfluss üben. Deswegen hatten wir jetzt auch zunehmend Spannung gerade bei den
00:44:19: regionalen Wahlen. Und die Leute auf einmal versacht haben, nee, wir wollen jetzt aber bestimmte
00:44:22: Leute tatsächlich haben, die mit uns das alles organisieren. Das wollte von gerade in den
00:44:25: städtischen Regionen fing an, so eine Demokratisierung von unten zu kommen. Und da klaffte die Werte, die
00:44:32: Ideen, die diese Leute hatten und die Erwartungen auch, mit dem was der Staat anbot, immer weiter
00:44:38: auseinander und für immer mehr Spannung, was wir gesehen haben in immer häufigerer Frequenz
00:44:42: von Protesten. Das finde ich sehr spannend, weil das ja ein differenziertes Bild ist,
00:44:45: mit einem großen Trend, aber wenn ich dich richtig verstehe, auch ein Gegentrend. Was heißt das,
00:44:50: soweit man das absehen kann, für die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung in der russischen
00:44:55: Föderation? Wie glaubst du, sind da die Möglichkeiten zu räumen in den nächsten Wochen und Monaten?
00:45:00: Schwierig, dass jetzt tatsächlich wirklich zu sagen, das hängt davon ab, wie lange der Konflikt
00:45:05: geht, wie fundamental wir uns voneinander entfernen und trennen. Also das, was jetzt gerade passiert,
00:45:12: Russland zu isolieren, wie stark wird das noch in verschiedenen Bereichen, lässt man uns hier
00:45:18: weiter arbeiten. Man muss bedenken, wir stehen hier auch für die Werte eines Staates, der Waffen in
00:45:25: die Ukraine liefert, mit denen russische Daten zu Schaden kommen sollen. Da gibt es eine gewisse
00:45:29: Logik, um zu sagen, diese Organisation brauchen wir vielleicht auch nicht mehr. Wie stark wird
00:45:34: die Verhärtung in der Gesellschaft sein? Wie groß muss die Repression sein, um hier die Ruhe und das
00:45:39: Narrativ weiter aufrecht zu erhalten? Das sind so Faktoren, die ganz grundsätzlich unsere Arbeit
00:45:46: unterscheiden können. Sollte es jetzt bald so einem Ende der Kampfhandlung kommen und wir retten
00:45:51: uns auf diesem Level, was wir sind, können wir weiter mit der noch vorhandenen Zivilgesellschaft
00:45:56: arbeiten, können wir weiter natürlich die Dialoge aufrechterhalten mit denjenigen, die dafür bereit
00:46:01: sind. Marcel hatte vorhin schon erwähnt, es gibt in Russland ja nicht nur die Kriminalität, die
00:46:06: gerne Krieg führt, sondern es gibt eine ganze Menge Leute, verschiedene Ebenen, die andere Ideen
00:46:10: auch haben, mit denen man tatsächlich reden kann bei allen unterschiedlichkeiten dergleichen
00:46:14: werden. Sollte es allerdings schlechter werden und wir noch weiter eingeschränkt werden oder gar
00:46:18: herausgehen müssen, verändert sich die Arbeit komplett. Sollte auch nicht vergessen, dass ein
00:46:22: gut Teil der Leute, die hier Protest organisieren, die Alternativen anbieten, die Zivilgesellschaft
00:46:31: organisieren, auch schon vor dem Krieg ausgegangen sind. Also die letzten eineinhalb Jahre waren
00:46:35: schwer für die Zivilgesellschaft, für Oppositionelle. 1500 aus diesem Bereich Kunst, Kultur,
00:46:41: politische Opposition und Zivilgesellschaft hatten schon vor dem Krieg das Land verlassen und jetzt
00:46:47: sind es vermutlich in die Zehntausende, wenn nicht sogar hunderttausende, die aus diesem Kreis
00:46:53: aus dem Land raus sind. Das bedeutet irgendwann fehlt uns tatsächlich auch diejenigen, mit denen
00:46:57: wir hier zumindest arbeiten können. Danke für die Einschätzung. Marcel, du hast eben schon
00:47:02: angesprochen, für die künftige Arbeit der Ebert-Stiftung gibt es zumindest den festen
00:47:07: Vorsatz der Führung der Ebert-Stiftung. Wir gehen sobald es geht, wieder in das Land und
00:47:13: engagieren uns. Wie würdest du die Perspektiven beschreiben, wann könnte man tatsächlich
00:47:18: realistischerweise wieder in das Land gehen und dort eine Arbeit betreiben, wie könnte die
00:47:23: aussehen, welche Beiträge könnte die Ebert-Stiftung leisten? Wenn wir jetzt die Frage den Kolleginnen
00:47:27: und Kollegen stellen würden, dann wäre die Antwort besser gestern als heute. Ganz praktisch ist es,
00:47:32: glaube ich, so wir müssen auf dem Waffenstillstand hoffen, das ist die absolute Grundvoraussetzung,
00:47:36: auch für die Sicherheit unseres Teams. Und dann ist eine Rückkehr, glaube ich, möglich. Die Frage
00:47:41: ist unter welchen Bedingungen. Also ich kann mir jetzt nicht vorstellen, ich pack dann hier meine
00:47:45: Sachen, fahr nach Frankfurt zum Flughafen und füge nach Kiew und alles ist wieder gut, das
00:47:49: wird so nicht sein. Es ist vielleicht auch ein bisschen von der Entwicklung abhängig, wir wissen
00:47:52: nicht, wie Kiew aussieht am Ende des Krieges. Dann jetzt hat die Stadt nicht die schlimme Zerstörung
00:47:57: erlebt, die Marjupol und Rakel verlebt haben in Marjupol sind 80 bis 90 Prozent der Wohnhäuser
00:48:02: zerstört und 100 Prozent der Industrieinfrastruktur. Das ist in Kiew noch nicht der Fall. Gott sei
00:48:07: dank, wir sehen aber, dass schwere Artillerie in den letzten Tagen zunehmend in Stellung gebracht
00:48:11: wurde. Das droht also. Wenn wir jetzt davon ausgehen, es bleibt in Kiew eine demokratisch
00:48:17: legitimierte Führung, die auch von uns anerkannt wird und daran glauben wir ganz fest, dann ist
00:48:23: eine Rückkehr nach Kiew möglich. Wenn das nicht der Fall sein sollte, die Stadt Kiew fällt
00:48:27: möglicherweise eine Marionettenregierung da eingesetzt wird, dann kann ich mir das nicht
00:48:30: vorstellen. Vielleicht gibt es aber auch eine Teilung des Landes, ich spreche jetzt rein hypothetisch
00:48:35: ins Szenarien, dass es dann vielleicht einen Landesteil gibt, der wiederum sicher ist. Also ich
00:48:41: denke an Lviv im Westen der Ukraine, dann würden wir eben von da unsere Arbeit fortsetzen bis Kiew
00:48:46: wieder möglich ist. Und selbst wenn das nicht in absehbarer Zeit beides eintritt, dann ist immer
00:48:52: noch die Möglichkeit die Arbeit aus dem Exil fortzusetzen. Das heißt eben aus einem anderen
00:48:56: Land heraus möglicherweise aus einem Nachbarland zu arbeiten, wo wir auch die Kolleginnen und Kollegen,
00:49:02: die jetzt außer Landes sind, wieder zusammenführen können, um dann eben aus dem Ausland heraus
00:49:07: gemeinsam zu arbeiten bis es möglich ist in die Ukraine zurückzukehren. Das ist so die
00:49:12: kurz und mittelfristige Sicht. Klar ist, wir werden ein anderes Land vorfinden. Wir werden
00:49:16: Land vorfinden, wo die Infrastruktur zerstört ist, Brücken, Flughäfen, Gebäude. Man sagt
00:49:22: etwa ein Drittel bis die Hälfte des BIP sind weg durch den Krieg. Wir werden ein Land vorfinden
00:49:27: mit vielen traumatisierten Menschen. Ich denke also auch an die Arbeit mit Sozialarbeiterinnen und
00:49:31: Sozialarbeiterinnen. Zum Beispiel wir haben vorher auch im vielen Bereich der Inklusion gemacht. Wir
00:49:35: werden viele Menschen haben, die traumatisiert, die vielleicht auch behindert, die versehrt aus
00:49:39: diesem Krieg hervorkommen. Wir werden es mit einem Land zu tun haben, mit Kampfmittelrückständen,
00:49:43: mit Landmienen im großen Stil. Und wir wissen aus dem Donnbass, dass dann nicht immer die Pläne
00:49:48: vorredigt sind und man nicht immer weiß was wo liegt. Das wird also noch in den Jahren, wenn
00:49:52: ich gar Jahrzehnte lange aufgehabt sein. Und das sind alles Möglichkeiten, wo wir etwas tun können.
00:49:59: Wir haben ja auch Erfahrungen mit anderen Ländern, wo wir in der Konfliktnachsorge aktiv waren und
00:50:04: Möglichkeiten hatten, Mediatoren auszubilden, Sozialarbeiter etc. etc. Und das werden wir
00:50:10: auch in der Ukraine tun. Ich sehe eher mehr Aufgaben als weniger für die Zukunft. Ich finde
00:50:14: diese Stärke der Friedrich-Ebert-Stiftung kann da besonders zum Tragen kommen. Die reiche Erfahrung,
00:50:21: die man über viele Jahre in allen Teilen der Welt gesammelt hat. Jede Situation ist besonders,
00:50:27: aber es gibt tatsächlich ein Erfahrungsschatz, auf den die Ebert-Stiftung dazu rückgreifen kann.
00:50:31: Und ich finde, die Stärke der Stiftung wird auch in eurer Arbeit und in diesem Gespräch sehr deutlich,
00:50:36: die unterschiedlichen Perspektiven zusammenzuführen und sie miteinander abzugleichen. Das ist,
00:50:41: glaube ich, in dieser Situation immens wichtig und im Erd wertvoll. Ich will am Ende des Gesprächs
00:50:48: euch beiden gerne noch eine Frage stellen. Es gibt ja manchmal, wenn man über Konflikte spricht,
00:50:53: die Vorstellung, wir brauchen jetzt eine Roadmap, eine Art Straßenkarte zum Frieden. Eine Roadmap,
00:51:01: eine Straßenkarte, auf der es irgendwie ein Gelände gibt, auf der es ein Weg gibt,
00:51:07: vielleicht ein steiniger, ein brüchiger, vielleicht eine Brücke am Wegesrand gibt es
00:51:11: unterschiedliche Gebäude. Vor eurem geistigen Auge, wie sieht die Roadmap für den Frieden in
00:51:17: der Ukraine aus? Was steht da? Wie sehen die Wege aus? Wie würdet ihr das beschreiben? Eine Roadmap
00:51:22: für die Ukraine. Wenn wir da wieder bei den Szenarien sind, dann beginnt ein jeder Weg mit dem
00:51:27: Schweigen der Waffen. Das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist der politische Prozess. Das
00:51:33: ist dann eben möglicherweise die Verfassungsänderung, also das Umsetzen dessen, was in einem Friedensabkommen
00:51:37: steht. Und dann, damit ist die Arbeit aber nicht getan, weil dann haben wir eine neue politische
00:51:41: Realität und dann haben wir ein Land, das, wenn wir die Umfragen jetzt anschauen, wo 70 bis 80 Prozent
00:51:46: der Menschen meinen, wir gewinnen den Krieg. Und was dann vielleicht ein Kompromiss eingeht und dann
00:51:50: am Ende, die vielleicht ein Gefühl herrscht von, wir wurden um einen Sieg gebracht. Mit Russland war
00:51:55: das vorher schon schwierig, das Verhältnis. Der ukrainische Außenminister Kuleber hat mal auf
00:51:59: einer Veranstaltung von uns gesagt, wir müssen lernen mit Russland zu leben, weil wir die Nachbarschaft
00:52:03: nicht aussuchen können. Das wird jetzt noch viel, viel schwieriger, wenn nicht sogar über Jahrzehnte
00:52:08: unmöglich. Und dann denken wir noch mal weiter an den gesamteuropäischen Kontext. Also für klar,
00:52:14: die Ukraine braucht dann, jetzt bin ich plakativ, eine Art Marschallplan. Also klar ist die Welt,
00:52:19: muss dieses Land wieder aufbauen, diesem Land eine Zukunft wieder geben. Aber klar ist auch,
00:52:24: dass wenn es zu dieser Friedenslösung kommen würde, Russland vielleicht das Gefühl kriegt,
00:52:29: und das hat Peria angedeutet, dass man mit Militär auf einmal wieder politische Ziele erreichen kann.
00:52:34: Krieg ist wieder ein Mittel der Politik geworden, das ist die traurige Gewissheit. Und wir wissen
00:52:40: nicht, wo dieses Drehbuch nochmal angewendet wird. Es muss ja nicht durch Russland angewendet werden,
00:52:44: vielleicht finden andere Staaten der Welt das Wiederholenswert. Wir haben das Vorzeichen ja
00:52:49: gesehen im letzten Jahr in Nagorno-Kaderbach und wir sehen es jetzt mit Russland und wir
00:52:54: wissen nicht, was passiert auf dem Balkan. Wir wissen nicht, was möglicherweise in anderen
00:52:59: Ländern der Welt daraus abgeleitet wird. Und wir wissen nicht, ob Russland das nicht nochmal
00:53:03: wiederholt, woanders. Und gleichzeitig ist noch nicht klar, was wird aus den Sanktionen. Sollten
00:53:10: die Sanktionen, sind die Bezweckung, eine Politik umkehren, Russland zu bewirken, werden die dann
00:53:15: auch wieder gelockert. Und falls ja alle gleichzeitig oder nur bestimmte, und wie kriegen wir den
00:53:21: Graben wieder zu? Ich mache mir ehrlich gesagt große Sorgen, wenn ich höre, dass Städtepartnerschaften
00:53:25: eingefroren werden und Hochschulkorporationen. Das sind Gräben, wenn man die einmal zuschüttet,
00:53:29: dann ist es schwierig, das auch wieder hinzukriegen. Da müssen wir uns noch viel mehr Gedanken
00:53:33: drüber machen, wie wir in dieser Welt des Morgens miteinander leben wollen. Denn die Bundeswehr
00:53:39: hochzurüsten ist das eine. Aber wollen wir alle Mauern Europas wieder hochziehen? Das ist die
00:53:45: andere Frage, sondern braucht es vielleicht beide Dinge. Das ist auf der einen Seite die
00:53:48: Verteidigungsfähigkeit, die Bündnis-Solidarität, aber auf der anderen Seite auch die ausgestreckte
00:53:53: Hand. Und die ist umso schwieriger, politisch durchzusetzen. Am Ende hast du die politische
00:53:57: Dimension angesprochen, aber in diesem Bild der Roadmap steckt ja auch etwas drin, was man vielleicht
00:54:03: mit den Gräben verbinden kann, die du gerade angesprochen hast. Wir müssen zusehen, dass wir
00:54:08: da irgendwelche Brücken drüber haben. Und die können auch zivilgesellschaftlicher Art sein. Und
00:54:12: zivilgesellschaftliche sind ganz, ganz wichtig. Wenn es Städte-Partnerschaften gibt, wo sich
00:54:16: Menschen begegnen, sind es vielleicht solche Brückpäher. Deine Roadmap to Peace, was würdest du
00:54:21: sagen? Meine Roadmap beginnt genau da, wo ihr gerade geendet seid mit der russischen Bevölkerung,
00:54:27: mit den Sowjet-Gesellschaften und endet mit einer europäischen Sicherheitsordnung,
00:54:30: einer neuen. Also ein ziemlich langer Weg. Ich denke, es ist zwingend notwendig,
00:54:34: dass für einen gelingen, für einen dauerhaftes Gelingen der Überwindung des Konfliktes und
00:54:39: des damit verbundenen Konfliktes zwischen Russland und dem politischen Westen notwendig ist,
00:54:43: dass etwas in Russland auch passiert. Meine Hoffnung ist, dass es tatsächlich irgendwann das
00:54:48: Ausmaß an Protest gibt, dass klar, dass man auch hier die Bevölkerung verloren hat und darauf
00:54:53: reagieren muss, dass ja also etwas in Russland verändert. Dafür ist genau das notwendig,
00:54:57: was ihr schon gerade angesprochen habt. Wir dürfen wirklich nicht die gesellschaftlichen Beziehungen
00:55:02: zueinander verlieren. Wir dürfen nicht alles russische verdammt. Das ist auch vor dem Hintergrund,
00:55:08: dass russische auch ein Teil der Ukraine ist, nicht möglich, sag ich mal. Aber wir müssen
00:55:13: eben auch als Gesellschaft sehr genau darauf achten, wie wir darauf reagieren, denn wir brauchen
00:55:17: diese Leute, die jetzt zum Teil auch aus Russland flüchten. Wir brauchen auch die Leute, die noch
00:55:21: in Russland sind, sich teilweise noch nicht trauen oder schon aber getraut haben zu protestieren.
00:55:26: Wir müssen weiterhin zu denen die Kontakte halten, zur russischen Gesellschaft insgesamt,
00:55:31: um sie werben, dass es einen anderen Weg gibt, dass es diese Konfrontation oder diese künstliche
00:55:36: Kluft zwischen dem Westen und dem wahren Russland, sag ich mal, eigentlich nicht gibt. Das ist
00:55:44: eigentlich nur unterschiedliche Spielarten sind, dass man das einander auch gut vereinbaren und
00:55:48: diskutieren, austesten, ausleben kann. Und das muss aber tatsächlich enden über all die Schritte,
00:55:53: die Marcel jetzt auch schon erwähnt hat, muss es enden bei der Neuordnung oder bei der Neufassung
00:55:59: einer Sicherheitsordnung in Europa, die wir hatten, war nicht geeignet, um allen das Gefühl der
00:56:05: Sicherheit zu geben. Wir brauchen eine, bei der alle inklusive des größten Sicherheitsakteurs
00:56:09: auf dem Kontinent, nämlich Russland, das Gefühl haben, dass sie aufgehoben sind, dass sie sich
00:56:14: sozusagen berücksichtigt sind, dass sie respektiert sind, dass sie ihren Interessen berücksichtigt
00:56:19: werden. Das wirkt im Moment als völlig unmöglich, aber es gibt keinen anderen Weg, als da am
00:56:24: Ende irgendwo hinzukommen. Ansonsten können wir einen dauerhaften Frieden in Europa einfach nicht
00:56:29: mehr garantieren. Den Bild der Roadmap steckt ja auch, dass das manchmal nicht unmittelbar der
00:56:33: nächste Schritt ist, sondern eben ein langfristiges Ziel. Ich nehme sehr mit aus euren beiden
00:56:37: Statements am Ende. Wir müssen miteinander als Gesellschaften im Gespräch bleiben. Das ist
00:56:42: immens wichtig. Ich will euch sehr, sehr herzlich danken, dass ihr euch auf dieses Gespräch eingelassen
00:56:47: habt, dass ihr viel Zeit und Gedanken investiert habt. Es ist sehr deutlich geworden, wie schwierig
00:56:52: eure Arbeit unter den aktuellen Bedingungen jeweils ist und zugleich, wie wichtig die Arbeit ist.
00:56:58: Wir drücken sehr die Daumen. Wir wünschen euch alles, alles Gute für die nächsten Wochen und
00:57:02: Monate. Danke für den Austausch. Danke für das gute Gespräch. Ich danke dir. Herzlichen Dank.
00:57:07: [Musik]
00:57:10: (Dynamische Musik)
00:57:11:
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